Patina bei Oldtimern –
mehr als nur Geschmackssache
Der Jaguar E-Type strahlt in "Regency Red", die dicken schwarzen Ledersitze und das reich bestückte Armaturenbrett zeigen leichte Gebrauchsspuren. Kein Rost, knapp 50 Jahre alt ist das Cabrio, 29.664 Meilen (47.739 km) hat der V 12-Motor bisher absolviert. Manuelles Getriebe, Hardtop ab Werk, AM/FM-Radio.
Erstbesitzer der Raubkatze war ein Amerikaner, Mr. Ervey aus Denville, New Jersey. 10.150 Dollar bezahlte er am 19. Juli 1974 beim Autohändler.
Es ist alles dokumentiert: Die Historie des Fahrzeugs, das bei Anbieter Getyourclassic derzeit angeboten, kann lückenlos nachgewiesen werden. Deswegen auch der stolze Preis von 94.900 Euro, den der jetzige Besitzer dafür haben will. Marktwert laut Zustand 2: 82.000 Euro.
Der kräftige Aufschlag ist der Patina geschuldet, die der Wagen besitzt.
„Schön oder nicht schön, das ist hier die Frage…“ Frei nach Shakespeares Hamlet spaltet der Anblick von Patina bei Klassikern immer noch die Oldtimer-Szene. Die eine Seite liebt das Fahrzeug, wenn es perfekt restauriert ist und wie fabrikneu auf Messen und Events vorgeführt wird. Die andere Seite interpretiert Gebrauchsspuren als wichtiges Merkmal des Fahrzeugs als Zeitzeuge seiner Epoche. Motto: Ist der Originalzustand einmal verschwunden, bleibt er es auch. Da hilft die perfekteste Restaurierung nichts.
Wie wichtig ist Patina momentan auf dem Markt, wohin geht der Trend? Welche Sichtweise setzt sich durch? Wir haben bei Oldtimer-Experten und Szene-Kennern nachgefragt.
Patina im Jaguar Cockpit. Gepflegt, immer gut behandelt, aber unrestauriert und original
Patina oder schon Gammel?
Frank Wilke ist Chef des Bochumer Bewertungsspezialisten classic-analytics. Für ihn ist das Thema Patina natürlich nicht neu: "Bereits vor knapp über 20 Jahren häuften sich die Fälle, in denen für überragend gut erhaltene, unrestaurierte Fahrzeuge der eigentlich für den Zustand 1 vorgesehene Preis gezahlt wurde. In den Folgejahren tauchten diese Autos dann vermehrt am Markt, speziell auf Auktionen auf und erzielten dort Preise, mit denen kaum jemand gerechnet hätte. Begriffe wie "Survivor" oder "Time capsule" wurden geboren.
Das interessante am Originalzustand ist, daß es ihn nur einmal gibt. Man kann jedes Auto immer wieder zur Perfektion restaurieren, aber wenn der Originalzustand zerstört oder verschwunden ist, dann bleibt er es auch. Oldtimerfans und -sammler möchten immer das haben, was es eigentlich nicht gibt, daher muss man für fast jedes Modell beobachten, ob Patina hier gewünscht ist und zur Wertsteigerung führt oder nicht.
Beispiel: Gefühlte 95% aller Mercedes Flügeltürer sind bereits restauriert, meistens auf sehr hohem Niveau, ein unrestauriertes Exemplar ist die absolute Ausnahme, der Hingucker auf jedem Treffen und daher begehrt. Andererseits besteht bei einem beliebten Oldtimer wie dem BMW Dreier E30 der Großteil des Angebots aus unrestaurierten, aber ordentlich erhaltenen Exemplaren. Ein ohne Rücksicht auf Kosten durchrestaurierter E30 ist die große Ausnahme und daher meist deutlich teurer als ein Auto mit Patina.
Knackpunkt beim Thema Patina ist, daß es keine für den Automobilbereich allgemeinverbindliche Definition gibt und die Einschätzung, ob noch Patina oder schon Gammel vorliegt, wesentlich subjektiver ist als die Festlegung von Zustandsnoten. Sämtliche Versuche, hier eine Vereinheitlichung zu installieren oder Definitionen aus der Kunstwelt zu übertragen, sind gescheitert, weil sie praxisfremd sind. Welcher Grad an Patina werterhöhend ist, entscheidet kein Sachverständiger und kein Marktbeobachter, sondern allein der Markt selbst. Noch ein Beispiel: Wenn ein Auto von 1957 nachweislich 1960 im Originalfarbton neu lackiert wurde, dann galt es lange Zeit nicht mehr als hundertprozentig original. Mittlerweile sieht man das großzügiger.
Entscheidend ist bei Patina immer ein stimmiges Gesamtbild: Ein unrestaurierter Innenraum mit abgewetztem Leder etc. passt nicht zu einer brandneuen Lackierung, so etwas ist eher wertmindernd, weil es an eine geschminkte Leiche erinnert..." Generell gibt es, gerade von Verkäuferseite, eine steigende Tendenz, schlechten Zustand oder Gammel als "sympathische Patina" darzustellen."
Deutz Traktor mit deutlicher Patina: In der Szene wird das geliebt und honoriert, steht es schließlich für ein hartes Arbeitsleben
Schlepper-Szene liebt verwitterten Lack
Patina ist nicht nur bei Pkw ein Thema, sondern auch und gerade bei historischen Nutzfahrzeugen. So hat Alexander Bank, Redaktionsleiter der Zeitschrift "Schlepper Post" (Verlag Klaus Rabe) eine ganz eigene Sicht auf Gebrauchsspuren, wie er dem OCC-Magazin verriet: "Ein Mercedes SL mit verwittertem Lack, ausgeblichenem Händleraufkleber auf dem Kofferraumdeckel, verschlissenen Sitzen, abgegriffenem Lenkrad und Rost an den Radläufen – mit diesem Auftritt hätte der Besitzer keine guten Karten beim nächsten Oldtimertreffen im beschaulichen Schlosspark.
Man würde ihn vermutlich dezent auf den Besucherparkplatz dirigieren. Der Mensch am Steuer bekäme entweder bedauernde Blicke oder Kopfschütteln über so viel Ignoranz, unter Umständen sogar Gebote für das Auto, die ans Unmoralische grenzen.
Bei einer besonderen Spezies von Oldtimerfreunden wäre das ganz anders: Ein historischer Traktor in diesem Zustand wäre ein gern gesehener Gast bei jedem Schleppertreffen, ob nun auf dem beschaulichen Dorfplatz oder bei der Großveranstaltung auf dem riesigen Acker mit Vorführungen und Teilemarkt. Natürlich gibt es in der Alt-Traktor-Szene zum großen Teil vorbildlich restaurierte Schlepper, viele davon im Zustand „besser als neu“ mit viel Hochglanz und einer über Jahre dauernden Restaurier-Geschichte.
Doch in den letzten Jahren sind die „patinierten“ Traktoren auf dem Vormarsch: In der Schlepper-Szene sind sie oft von Menschen umlagert. Die Freunde der historischen Landtechnik schätzen es, wenn ein Traktor seine Geschichte erzählen kann, also von . harter Arbeit über viele Jahrzehnte. Wohl gemerkt: Der verwitterte Lack darf gerne konserviert werden. Und unter der Haube muss alles bestens sein, die Technik muss also tadellos funktionieren. Und dabei sind sich Besitzer klassischer Pkws und Freunde der Acker-Technik dann wieder einig."
Auf der Retro Classics in Stuttgart (23. Februar - 26. Februar 2023) will Frank Wilke (classic-analytics) diesen unrestaurierten Käfer (Baujahr 1965) zeigen.
Patina anhand des Pflegezustands unterscheiden
Einen fast poetischen Bezug zum Thema Patina fand Sascha Keilwerth vom Oldtimer-Auktionshaus Getyourclassic: "Am Ende ist zwar es immer reine Geschmackssache, was einem Betrachter gefällt, aber suchen wir Menschen nicht schon immer die Faszination in tollen Geschichten? Die Geschichte. Genau darum geht es doch!
Ein Auto, sei es das erfolgreiche Rennauto oder das „Brot und Butter Auto“, erzählt seine Geschichte in Form seiner Gebrauchsspuren, Kratzer, Dellen und Macken. Ja Macken. Ich erinnere mich da z.B. an meinen Käfer zu Studentenzeiten, bei dem der Blinker nur ging, wenn der Handschuhfachdeckel offen war. Das sind genau, diese Geschichten, die uns im Gedächtnis bleiben und immer für interessanten Gesprächsstoff sorgen… und von denen wir auch immer noch ein bissel schwärmen.
Seit nunmehr bald 40 Jahren beschäftige ich mich mit dem „heiligen Blechle“ und erstarre jedesmal fasziniert in Ehrfurcht, wenn ich ein patiniertes Auto sehe und bin jedes Mal gespannt auf die Geschichte, die mir das Auto erzählt. Das verrostete Wrack, welches z.B. aus einem Fluß gerettet wurde und gerne als patinierter Survivor (Überlebender) angeboten wird, hat nicht viel mit Patina zu tun, da das Objekt in seiner Funktion nicht mehr einsatzbereit ist. Geschmacklich kann es für den Betrachter natürlich faszinierend sein, das Objekt zu betrachten und die Geschichte dahinter zu erfahren.
Man kann die Patina an Hand des Pflegezustandes unterscheiden. Da gibt es die völlig verrosteten, aber voll funktionstüchtigen Autos bei dem die Lackfarbe nur noch zu erahnen ist. Gerne als „Ratte“ oder „rat-look“ bezeichnet, aber Fahrzeuge in tollem, originalen Pflegezustand, mit hier und da einer kleinen Delle oder Kratzer.
Die Intensität der Gebrauchsspuren bestimmt dann auch den Wert des Autos. Der emotionale Wert ist nicht genau definierbar, denn das hängt ja vom Betrachter ab. Zum Wert kommt dann auch der Grad des Originalzustandes bezogen auf die Lackierung, Motor, Getriebe, dem Interieur und natürlich auch die Seltenheit sowie der Beliebtheitsgrad. Am Ende ist es natürlich immer eine Geschmacksfrage, ob der Oldtimer patiniert sein soll oder neuwertig aussehen soll. Aus meiner Erfahrung ist Authentizität jedoch am wertstabilsten. Bei Getyourclassic lieben wir Patina und deren Geschichten dahinter.
Wir transportieren diese Geschichten in die moderne, digitale Welt in Form größtmöglicher Transparenz durch hunderte Fotos und Videos vom Auto und verlassen uns nicht nur auf Wertgutachten, sondern präsentieren dem Betrachter das Auto mit all seinen Kratzern, Dellen und Macken. So kann der Interessent online beurteilen ob ihm das Auto gefällt und es dann seinem vertrauten Autospezialisten virtuell zeigen."
Klassik-Mekka Monterey: Dieser unrestaurierte VW Käfer in Top-Zustand von 1963 hatte nur 6.800 Meilen auf dem Tacho. Verkauft wurde er im August 2022 für 106.000 Dollar
Im Gutachten Zustand 3, aber Wert wie Zustand 1
Auch Jan Hennen, Sprecher des Bundesverbandes Oldtimer Youngtimer e.V. DEUVET, hat eine klare Meinung zum Stichwort Originaltät: "Lange Zeit verlangte der Markt toprestaurierte Fahrzeuge, hochglanzpoliert und möglichst besser als neu. Die Zustandsnoten 1-5 korrelierten in der Regel mit den Preisabstufungen. Seit rund 10 Jahren wurde zunehmend auch auf die Originalität und die Geschichte des Kulturguts gelegt.
Grundsätzlich ist ein Fahrzeug nur einmal original, nämlich wenn es aus der Fabrik kommt. Dann beginnt sein hoffentlich langes Leben. In den ersten Jahren wird es benutzt, mehr oder weniger gepflegt und erleidet dabei auch kleinere oder größere Blessuren. Auch Materialien nutzen sich ab, Sitze und Dichtungen zeigen die Gebrauchsspuren und auch der Lack leidet unter Sonneneinstrahlung, Vogelkot etc.
Diese Gebrauchsspuren machen ein Fahrzeug zu einem Zeitzeugen seiner Geschichte. Es zeigt den technischen Stand der Materialien und Fertigungsqualität vor vielen Jahren. Seine Patina könnte erzählen von Schicksalen, schönen und weniger guten Momenten. Natürlich muss der Wiederaufbau eines Wracks oder unvollständigem Rest für eine Rettung seltener Fahrzeuge mit einem bis zu vollständigem Neuaufbau gemacht werden. Der Wert ist aber dann nur hoch, weil die Arbeiten extrem aufwändig waren.
Ein echter Survivor mit unzerstörter Originalsubstanz sollte unbedingt in seinem Zustand belassen werden, nur so ist er richtiger Zeitzeuge. Wenn dem Besitzer die Optik nicht ausreicht und immer wieder gemachte Meinungsäußerungen unwissender Spezialisten wie: „könnte ja wirklich mal neu lackiert werden“ auf die Nerven gehen, sollte man sich ein anderes, dem eigenen Geschmack besser passendes Objekt suchen.
Der Aufwand, ein Fahrzeug über Jahre oder Jahrzehnte im Originalzustand zu erhalten, kann durchaus höher sein als schneller Neulack, neue Sitzbezüge, neuer Motor etc. Ein so originales Fahrzeug hat es verdient, nicht eine Art Neuzustand vorzugaukeln.
Daher ist es notwendig, diese Originalität in einem langen Gutachten zu beschreiben und so zu dokumentieren, dass vielleicht nur eine Zustandsnote 3 vergeben wird, aber der Wert in ähnlicher Höhe angegeben wird wie bei Zustand 1- oder 2.
Ein Baudenkmal ist vor hunderten von Jahren mit der damals üblichen Technik und den damals verfügbaren Materialien gebaut worden. Niemand wünscht sich, dass getönte Alufenster in das Ulmer Münster eingebaut werden, obwohl ja mittlerweile Photovoltaik-Anlagen selbst auf Kirchendächern oder anderen historischen Gebäuden zugelassen werden." (dr)
Fotos: Sascha Keilwerth, www.getyourclassics.com | Frank Wilke, classic-analytics.de | Alexander Bank, Schlepper Post
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