Vom Pferd zum Stern: Geschichten aus 100 Jahren Automobilwerbung
Von DORIAN RÄTZKE
„Auf ein Pferd verzichten und Kosten sparen“ – mit diesem Slogan warb am 30. Juli 1898 ein Automobilhersteller in der renommierten amerikanischen Zeitung „Scientific America“ um Kunden. Die Anzeige der Firma Winton Motor Carriage (Cleveland, Ohio) gilt als die erste erfolgreiche Zeitungswerbung für Autos in den USA. Um die Vorzüge des neuartigen Gefährts für Kutschenbesitzer deutlich zu machen, pries Winton Motor auch die Geruchsneutralität gegenüber einem Pferd („no odor“ – kein Geruch) und wies auf die sensationelle Höchstgeschwindigkeit hin („20 miles an hour“ – 32 km/h) hin.
Für die Menschen damals eine Sensation, schließlich lag die Erfindung des Automobils durch Carl Benz erst 12 Jahre zurück (1886). Ein Faltblatt, der Benz Patent-Motorwagen-Prospekt von 1887, gilt als weltweit erste kommerzielle Automobilwerbung.
Was damals als nüchterne Präsentation technischer Innovation begann, hat sich über das letzte Jahrhundert zu einem Milliardenmarkt entwickelt, der die potenziellen Autokäufer mit Emotionen, Provokationen und immer neuen Inszenierungen umwirbt.
Machen Sie mit uns einen Streifzug durch über 120 Jahre Automobil-Werbung. Oft skurril, manchmal schockierend – aber immer unterhaltsam.
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BMW-Werbung 1930: Der Grafikstil von Henry Ehlers (1897-1988) war in den deutschsprachigen Ländern einzigartig. Die Formen sind klar geometrisch strukturiert und stark vom Art Déco beeinflusst. Ironie: Die auf dem Plakat beworbene Neuerung, die „Schwingachse“, erwies sich später gerade wegen ihrer unpräzisen Radführung als problematisch – sie musste später überarbeitet werden.
Vom Selbstfahrer zur Stil-Ikone – Mercedes-Benz im Spiegel der Werbung
Auch bei Mercedes-Benz lässt sich der Wandel der Werbung wie unter einem Brennglas beobachten. Schon in den 1920er-Jahren warb die Marke mit einem erstaunlich modernen Frauenbild: Die selbstbewusste Fahrerin am Steuer verkörperte Unabhängigkeit und gesellschaftlichen Aufbruch – ein Spiegel des neuen weiblichen Selbstverständnisses jener Zeit.
„Wie selbstverständlich steuern in den 1920er Jahren weibliche Fahrer die Karossen durch den Alltag und entsprechen dem neuen Selbstverständnis der Frau“, erklärt Peter Becker, Sprecher von Mercedes-Benz Classic. „Die weibliche Werbeikone von damals ist sportlich, selbstbewusst, romantisch und raffiniert. Ihr werden gutes Urteilsvermögen und Einfluss auf die Männer zugetraut – schließlich wünscht sie sich ein Automobil von ihm, den Stern ihrer Sehnsucht.“
Mit der Weltwirtschaftskrise änderte sich der Tonfall. Die Werbung setzte nun stärker auf Tradition und Solidität. In den 1930er-Jahren traten Motorsport-Erfolge in den Vordergrund – Rennsiegplakate aus aller Welt feierten nicht nur die Helden am Steuer, sondern auch die technische Überlegenheit der Marke. Der 300 SL der frühen 1950er-Jahre brachte diese glorreiche Rennsport-Vergangenheit dann auf die Straße zurück.
Neue Botschaft: Frauen fahren jetzt selbst
In den 1950er- und 1960er-Jahren wandelte sich das Bild erneut. Mercedes-Benz zeigte Frauen nun häufig als charmante Beifahrerinnen oder elegante Selbstfahrerinnen, während sich die Botschaften zunehmend um Komfort, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit drehten. „Wenn ein neuer Mercedes kommt, dann kommt ein neues Auto“ – solche Slogans verbanden technische Innovation mit dem Versprechen eines neuen Lebensgefühls. Mercedes-Sprecher Peter Becker fasst die Entwicklung zusammen: „Mercedes-Benz Werbung war immer mehr als Produktkommunikation. Sie war Zeitspiegel – vom Aufbruch der Zwanziger über das Traditionsbewusstsein der Dreißiger bis hin zur neuen Gelassenheit der Fünfziger und Sechziger. Der Stern war nie nur Logo, sondern immer auch Symbol einer Haltung.“
Parallel dazu setzte auch BMW auf emotionale Botschaften, die über die reine Produktpräsentation hinausgingen. Drei Worte, in einem stimmigen Stabreim verpackt, versprechen ein großes Vergnügen: „Freude am Fahren“. Seit 1965 beziehungsweise 1972 begleitet dieser Claim die Kommunikation von BMW in Anzeigen, Spots, Imagekampagnen und Social-Media-Auftritten. „Der Slogan transportiert eine positive Emotion. ,Freude‘ ist der Markenkern von BMW. ‚Freude am Fahren‘ erfüllt genau das, was ein Claim leisten soll und kann“, sagt Joachim Blickhäuser, Leiter Corporate und Brand Identity der BMW Group.
Explodierende Farben, bedeutende Künstler
Die Automobilwerbung war also auch immer Spiegel der jeweiligen Epoche – gerade in Bezug auf Kunst, Stil und Design. Laut Unternehmensarchiv Mercedes-Benz gestaltete um die Jahrhundertwende der französische Künstler Henri Rudaux (1870-1927) erste Rennplakate für Mercedes. Der künstlerische Einfluss von Henri de Toulouse-Lautrecs auf den Plakaten von Rudaux ist unverkennbar, der weltberühmte französische Maler gilt als Wegbereiter der Plakatkunst mittels Farblithografie.
In den 1920er Jahren tauchte die Werbung in den Art-Déco-Glanz: Opels 4 PS wurde mit eleganten Damen in geometrischen Linien beworben, ein Hauch von Luxus und Moderne. Die 1950er Jahre brachten das Wirtschaftswunder: Volkswagens „Think Small“-Kampagne in den USA für den Käfer nutzte minimalistische Typografie und ironische Selbstkritik, während Citroën die DS in pastellfarbenen, freigeistigen Bildern seine „Göttin“ feierte. Wie futuristisch-bunt es in den 1960ern zuging, lässt sich sehr gut in der französischen Filmkomödie „Trafic" (1971) von Jacques Tati beobachten: Er persiflierte diese Auto-Ära mit absurder Bildsprache: Fahrzeuge in sterilen Showrooms rund um eine fiktive internationale Autoausstellung – eine großartige, aber liebevolle Satire auf die Konsumkultur, die Autos als Lebensstil verkauft.
Die 1970er Jahre explodierten in bunten Farben: BMWs „Freude am Fahren“ setzte auf dynamische Fotos, Renaults 5-Kampagne zeigte Frauen in Hippie-Kleidern, ein Statement für Unabhängigkeit. Und heute? In der digitalen Ära glänzt Mercedes mit cleanen, futuristischen Spots, während Fiats Panda mit urbanem Minimalismus und einer Neuauflage von Shaggys 30 Jahre altem Welthit "Boombastic" wirbt, der eigens für die Italiener eine neue Version („Life is Pandastic“) aufgenommen hat.
Schock und Skandale - wenn Autowerbung polarisiert
Was wäre die Automobilwerbung ohne Aufreger, ohne kühne Selbstironie, gesellschaftliche Fehltritte und wohlkalkulierte Tabubrüche? In den 1960er Jahren drehte Volkswagen mit der „Lemon“-Kampagne den Spieß um: Ein Käfer mit einem winzigen Makel wurde zur Hauptfigur, mit dem Slogan „Lemon“ – eine selbstkritische Botschaft, die Perfektion betonte. Renaults 5 (1972) als „Frauenauto“ mit Hippie-Damen in Pop-Art-Farben provozierte Feministinnen, da es Klischees zementierte. Fiats Uno-Kampagne (1980er) setzte auf cartoonartige Elefanten und Wortspiele wie „sciccosa“ – skurril, aber ein Publikumshit.
2011 verbot Großbritannien Citroëns DS3-Spot wegen epilepsieauslösender Flash-Effekte. Peugeots 208-Werbung (in Großbritannien) zeigte einen Fahrer, der während der Fahrt SMS liest – ein gefährlicher Fauxpas, der verboten wurde. Volkswagens Instagram-Spot 2020 mit einer weißen Hand, die einen Schwarzen wegschiebt, löste Rassismusvorwürfe aus.
Und Jaguar irritiere schließlich im letzten Jahr mit der „Copy Nothing“-Kampagne (2024): androgyne Models in Neonfarben ohne ein Auto. Eine kühne Strategie, die als „woke“-Wahnsinn gebrandmarkt wurde und sogar Tesla-Eigentümer Elon Musk zu einem Tweet auf seiner Social-Media-Plattform X animierte: „Do you sell cars?"
Bleibt zum Schluss die Frage, wie die Autowerbung wohl in 100 Jahren aussieht? Werben holografische Plakate für fliegende Maschinen mit Solarantrieb? Gibt es Autos nur noch als virtuelle Erlebnisse in einer Welt ohne Blech? Wir mögen die Zukunft zwar nicht mehr erleben, aber nachfolgende Generationen werden sicher über unsere Oldtimer-Spots schmunzeln …
Fotos: Mercedes-Benz Archiv | BMW AG | Stellantis | Renault Group | Zwischengas.com
Autowerbung: witzig, ernst und futuristisch
Umsteigen vom Pferd aufs Auto: Winton Motor Carriage schaltete 1998 die erste Automobilwerbung in einer Zeitschrift in den USA.
„Herrscher über Raum und Zeit“: So nannte Mercedes-Benz sein Werbemotiv mit Skifahrer und Typ 630 Pullmann im Jahr 1928. Rechts: Nüchtern und sachlich die Werbung anlässlich der Gründung der Auto Union AG 1932.
Die „Frau in Rot“ (1928) von Edward Cucuel und Hans Offelsmeyer für Mercedes-Benz. Rechts die zeitgenössische Fiat-Werbung im Jahr 1899.
Temperamentvoll und wirtschaftlich: Opel weist beim Olympia 1935 auf die wesentlichen Eigenschaften seines Bestsellers hin.
Damals gab es noch für Grafikdesigner noch kein Photoshop: Messerschmitt Kabinenroller KR 200 mit zwei Erwachsenen und einem Kind – mittels Schere freigestellt (um 1960).
BMW 700 mit flotter Frau am Steuer – ein Motiv aus dem Jahr 1959.
Thema Sicherheit: Citroën warb beim Modell DS mit Scheibenbremsen (1962) und stärkeren Motoren (1965).
Auto trifft Satire: Citroën lässt in den Sechzigern seine „Göttin“ fliegen – rechts zeigt Jacques Tati, was passiert, wenn sie wieder landet. Zwei französische Perspektiven auf das automobile Wunder.
Romantisch: Ein verliebtes Pärchen turtelt unter einem Baum, im Hintergrund der neue Opel Kadett A, der kurz gesagt OK ist (1962).
Die Audi NSU Auto Union AG bewarb mit dem Ro 80 erstmals den Audi-Slogan: Vorsprung durch Technik. Die Farben fast psychedelisch, wie es 1971 modern war.
Die Generation der großen Sechszylinder: Annonce der Mercedes-Benz Baureihe W 108/109 aus dem Jahr 1968.
Die 80er waren Pop & Rock: Fotomotiv für den neuen Renault 5 aus dem Jahr 1984.
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