Wartburg 353:
Der stolze Thüringer
Wer in der DDR einen neuen Wartburg kaufen wollte, musste bis zu 18 Jahre warten. Der Mittelklasse-Wagen vom Typ 353 (später 353 W), den es auch als Kombi mit der Bezeichnung „Tourist“ gab, war im Arbeiter- und Bauernstaat begehrt. Noch heute sind laut Kraftfahrzeugbundesamt 8.400 Fahrzeuge des Modells zugelassen, dessen Produktion vor genau 30 Jahren endete. Grund genug, den Wartburg und seine bemerkenswerte Historie unter die Lupe zu nehmen.
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Bach, Britannien, BMW
Kenner wissen, die Pkw-Produktion ist seit langer Zeit unzertrennbar mit Eisenach verbunden. Die Stadt (42.000 Einwohner) im Westen Thüringens ist nicht nur die Geburtsstadt des wohl berühmtesten Komponisten der Musikgeschichte, Johann Sebastian Bach (1685 – 1750, „Matthäus-Passion“,„Weihnachtsoratorium“), sondern hat mit der Wartburg, die fast 200 Meter über der Stadt thront, ein besonders geschichtsträchtiges Bauwerk (UNESCO-Weltkulturerbe).
Wann startete der Automobilbau? 1896 wurde die Fahrzeugfabrik Eisenach gegründet, schon zwei Jahre später feierte der 1. Wartburg-Motorwagen Premiere. 1927 erwirbt das Werk die Lizenz des englischen Kleinwagens Austin Seven.
Die zweite Wartburg-Epoche des Automobilstandortes Eisenach begann 1928, als die BMW AG die damalige DIXI-Fabrik kaufte. 1930 produzierte BMW den BMW DA 3, Typ „Wartburg“, einen Sportwagen mit 18 PS Motor. Nach Bombardierungen (das Werk wurde zu 65 Prozent zerstört) und Kriegsende ging der Standort 1945 in das Eigentum der Sowjetischen Militäradministration über. Die dritte Wartburg-Epoche startete 1956 mit der Geburtsstunde des Modells 311, nun unter dem Dach des VEB Automobilwerk Eisenach (AWE). 1965 kam der Wartburg 312, der aber schon das Fahrwerk des Nachfolgers 353 besaß. 1966 dann der Serienstart des Wartburg 353 mit neuer Karosserie, die bis auf kleine optische Retuschen nahezu unverändert bis 1991 gebaut wurde. Sogar Westeuropa orderte die Mittelklasse „Made in GDR“. In Großbritannien stand der Wagen aus Thüringen übrigens als „Wartburg Knight“ bei den Händlern – natürlich mit Rechtslenkung (siehe Foto). 1985 lief der millionste Wartburg 353/353 W vom Band, ab 1988 schlug im Wagen erstmals serienmäßig ein Viertakt-Herz von VW (Modell: Wartburg 1.3). 1992 eröffnete Opel ein neues Werk in Eisenach und produzierte dort die Modelle Astra und Corsa.
50 PS - 130 km/h Spitze
Bis zum Modelljahr 1969 wurde der Wartburg 353 von einem 45 PS starken Zweitakt-Dreizylinder-Ottomotor angetrieben. Der Nachfolger 353 W (das W stand für Weiterentwicklung) leistete 50 PS (Spitze 130 km/h). Hubraum: 992 ccm, Drehmoment 100 Nm bei 3000 U/min. Als Kraftstoff kam für die Motoren nur ein Zweitaktgemisch mit der Verdichtung 1:50, min. 88 ROZ in Frage. Verbrauch: 7,5-9 l / 100 km im Schnitt.
Grundpreis 18.000 DDR-Mark
Der Grundpreis des Wartburg 353 lag bei etwa 18.000 DDR-Mark. Zum Vergleich: ein vollbeschäftigter Arbeitnehmer verdiente Mitte der 70er Jahre etwa 800 DDR-Mark im Monat (Quelle: Statistisches Amt der DDR). Platz für 5 Personen bot die Limousine, der Kofferraum schluckte respektable 525 Liter (Limousine), der Tourist hatte gar ein Ladevolumen von 1,8 Kubikmeter. Die deluxe- bzw. S-Modelle (S wie Sonderwunsch) boten u.a. Vordersitze mit Rückenlehnenverstellung, Liegesitze, Autoradio, Tageskilometerzähler, Zweiklangfanfare, Schiebedach oder ein zweistufiges Heizungsgebläse (de Luxe-Version).
Der Malocher-Wartburg
In Eisenach wurde neben der Limousine und dem Kombi (Tourist) auch ein Pick-Up produziert. Der Wartburg 353 Trans war ein echtes Arbeitstier, die Ladefläche schützte entweder eine simple Planenabdeckung oder ein Aufbau mit Fenstern. Bis zu 550 Kilo Nutzmasse konnten so transportiert werden. Fast alle der 6300 gebauten Exemplare gingen in den Export.
Der DDR-Notarztwagen
Im Karosseriewerk Halle wurde ab 1984 die Kombiversion des Wartburg zu Einsatzwagen für medizinische Zwecke umgerüstet. Die ersten Exemplare hatten einzelne Blaulichter auf dem Dach, ab Mitte der 1980er wurden beim W 353 MED eine Sondersignalbrücke mit Sirene, Lautsprechern und Blaulicht montiert. Der Motor (50 PS) blieb unverändert. Medizinische Ausstattung: Defibrillator, Beatmungsgerät, Sauerstoffgerät, EKG, Vakuum-Matratze. Patienten konnten auch liegend transportiert werden, der Beifahrersitz des Arztes war nach hinten umdrehbar.
Der Rallye-Wartburg
Mit drei BVF-Flachstrom-Motorradrennvergasern M 42 wurde der normale Wartburg-Motor von 50 auf bis zu 110 PS gepusht. Die Höchstgeschwindigkeit stieg auf 172 km/h. Der Wagen startete so im Reglement der Rallye-Gruppe B. Weitere Unterschiede zum Serienmodell: Halogen-Weitstrahler und Halogen-Nebelstrahler, Zusatzkühler vorn, Fünfganggetriebe, Spurverbreiterung vorn und hinten, Gewichtsreduktion (Kunststoff-Scheiben vor und hinten, Motorhaube und Kofferraumdeckel aus Leichtmetall). Rallye-Wartburg starteten auch international erfolgreich, u.a. 1970 bei der Rallye Monte Carlo (3. Platz in seiner Klasse), in Finnland, Griechenland, Österreich und Holland.
Der Volks-Ferrari aus Dresden
In der Dresdner Heinz Melkus KG entstanden von 1969 bis 1980 superflache Mittelmotor-Sportwagen (nur 1,07 m hoch) auf Basis des Wartburg 353. 101 Exemplare des Melkus RS 1000 wurden montiert, wobei die Chassis an den Ford GT 40 erinnerte. Ein Hingucker waren die Flügeltüren des Melkus. Der optimierte Zweitakter des Serien-Wartburg leistete im Melkus 70 PS (Spitze 160 km/h), die Rennversion sogar 90 PS (200 km/h Höchstgeschwindigkeit). Neupreis damals: 28.500 DDR-Mark. Heute sind die Melkus-Modelle rare Sammlerstücke und kosten mindestens 72.000 Euro (Zustand 2). (dr)
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OCC bedankt sich bei Lars Leonhardt für die Unterstützung und fachliche Beratung zu diesem Artikel.
Empfehlenswert auch das Museum Automobile Welt Eisenach (AWE).
Fotos: Archiv Stiftung Automobile Welt Eisenach
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