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Interessiert sich die Jugend
überhaupt noch für Oldtimer?

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Die Firma Grosser (13 Mitarbeiter) aus dem Sauerland hat sich über die Grenzen Deutschlands hinaus einen hervorragenden Ruf als Fachbetrieb für die Restaurierung von Mercedes-Benz-Modellen der Baujahre 1955–1971 (speziell Pagode 230 SL bis 280 SL) erarbeitet. Darüber hinaus verkauft Grosser hochwertige Mercedes-Klassiker in alle Welt.

Geschäftsführer Michael Müller-Funk
weiß also, wovon er redet, wenn es um automobile Liebhaberfahrzeuge geht. Die Geschäfte laufen gut, trotzdem macht sich der Mercedes-Fachmann Gedanken über die Zukunft der Klassiker-Branche. Im Gespräch mit dem OCC-Magazin sieht er „umfangreiche demografische Veränderungen auf den Oldtimer-Markt zukommen“. Wir sind der Frage nachgegangen, wie es um den Nachwuchs in der Szene bestellt ist.

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Macht sich Gedanken über den Nachwuchs in der Oldtimer-Szene: Michael Müller-Funk, Geschäftsführer des Mercedes-Spezialisten Grosser, vor einem W111 Coupé

Einstellung der Oldtimer-Käufer hat sich geändert

Michael Müller-Funk ist einer, der nicht lange um den heißen Brei herumredet, sondern Klartext spricht.
Viele Besitzer verkaufen jetzt ihre Fahrzeuge, weil sie aus Alters- oder gesundheitlichen Gründen nicht mehr fahren können. In der Familie gibt es oft niemanden, der sich für die Oldtimer interessiert. Gleichzeitig hat sich die Einstellung der Käufer zu Oldtimern geändert. Eine neue Generation der Babyboomer, finanziell gut aufgestellt, sucht nach schönen, praktischen Klassikern, die sich gut fahren lassen. Diese Käufer sind oft finanziell gut ausgestattet, interessieren sich aber nicht für technische Details. Pappdeckelbriefe oder Matching Numbers sind da oft uninteressant. Wir haben Fälle, da hat die Gattin mal eine Pagode in einem Rosamunde Pilcher-Film gesehen und der Ehemann, vielleicht Anwalt oder Arzt, bekam gerade eine Auszahlung seiner Lebensversicherung. Da wird dann oft recht spontan eine Pagode gekauft“, beobachtet der Oldtimer-Fachmann. Und die jungen Menschen? „Die können die hochpreisigen Klassiker nicht bezahlen und kaufen dann BMW 2002, Baby-Benz oder einen R107.“

Wie kann man den Nachwuchs denn für Oldtimer begeistern? Liegt es an der Einstellung oder der gesellschaftlichen Stimmung derzeit?

Michael Müller-Funk: „Die Masse der jungen Menschen, gerade auf dem Land, hat noch viel Spaß an Autos, auch an der Technik. Aber in großen Städten ist die Jugend eher autokritisch. Stichwort Fridays for Future. Das Problem ist, dass diese Bewegung durch geschickte, öffentlichkeitswirksame Auftritte in den sozialen Medien suggeriert, dass sie eine Mehrheitsmeinung abbilden. Dem ist aber nicht so. Ich prophezeie, dass das Auto auch in Zukunft der Liebling der Deutschen bleibt. Irgendwann in der Zukunft werden die Menschen merken, dass man echte Autos mit Verbrenner-Motoren nur noch als Liebhaberfahrzeug erleben kann. Das Wort Nachhaltigkeit ist total überdehnt, ich kann es auch nicht mehr hören. Aber wenn man es schon bemühen muss, dann gibt es doch nichts Nachhaltigeres als Oldtimer, die liebevoll gehegt und gepflegt werden.“

Sein Erweckungserlebnis in die Welt der klassischen Liebhaberfahrzeuge begann irgendwann in den 80er Jahren im Ruhrgebiet. In Essen schraubte mit Michael Müller-Funk mit Freunden an alten Fahrzeugen und richtete so manches Käfer-Cabriolet wieder her. Ein Freund brachte dann irgendwann eine 1970er Pagode in die Werkstatt, Michael Müller-Funk kaufte den Wagen für 21.000 DM, zerlegte ihn und baute ihn neu auf. „Diese Pagode 280 SL habe ich seit über 37 Jahren. Der Wert dürfte sich inzwischen verzehnfacht haben. Über 100.000 Euro würden Sammler für das gute Stück zahlen“, erzählt er stolz.

Welche Oldtimer eignen sich besonders gut für Neueinsteiger in die Szene?
Michael Müller-Funk: „Mercedes-Modelle wie R107, R129, Baby-Benz, W124 Coupé und Cabriolet, Opel Manta, Kadett C, VW Käfer, Nasenbär, K70, Ente, R4, Volvo Buckel, Amazone, Fiat 124 und Alfa Spider. Alles wunderschöne Autos, finanziell nicht abgehoben und technisch beherrschbar.“

Silas Behling

Der angehende Kfz-Mechatroniker Silas Behling zeigte sein Können auf der Bremen Classic Motorshow

Noch keinen Führerschein, aber schon Käfer in der Garage

Ortswechsel, die Bremen Classic Motorshow 2024. Eine Messe der Superlative: 700 Händler und Privatanbieter auf rund 52.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche, 45.740 Besucher. Viele Männer mittleren Alters, viele Rentner, wenig Frauen und wenig junge Leute. Das wollten die Veranstalter zusammen mit dem Aussteller „Das Nationale Automuseum – The Loh Collection“ ändern. Der Nachwuchs bekam eine eigene Fläche, um sich zu präsentieren. Karosseriebauer Fynn Backhaus zeigte den Besuchern einen Eigenbau. Der 17-jährige Silas Behling aus der Nähe von Bremen schraubte mit zwei Freunden live vor Publikum an einem Golf II. Er verrät dem OCC-Magazin, dass er zwar noch keinen Führerschein, dafür aber schon einen Klassiker daheim hat. „Einen VW Käfer Ovali aus dem Jahr 1954. Den hab ich abgestottert, indem ich bei meinem Vater in der Werkstatt geholfen habe.“ Silas lernt im 2. Ausbildungsjahr Kfz-Mechatroniker.

William Groth
aus Hamburg gehört ebenfalls zu den jungen Klassiker-Enthusiasten auf der Bremen Classic Motorshow: „Ich wurde vor fünf Jahren mit dem Oldtimervirus infiziert. Es startete mit Autokäufen, ging dann über in die Gründung einer Oldtimer-Community für junge Leute in Hamburg. Inzwischen habe ich meine eigene Firma gegründet, die Collective Motion GmbH. Es geht um nachhaltigen Luxus. Uhren, Oldtimer, das sind für mich nachhaltige Investments. Deswegen beschäftigen mich die Fragen: Was ist der Oldtimer der Zukunft, was ist die Sammler-Uhr der Zukunft …“

Till Waitzinger, Mitglied der OCC-Geschäftsleitung, bemerkt ein „Kommunikationsproblem“ innerhalb der Oldtimer-Szene: „Während die „Alten“ in der Klassiker-Community eher Printprodukte wie Vereinszeitschriften bevorzugen, läuft bei Jüngeren die Vernetzung eigentlich nur über Social Media Kanäle. Sprachlich gesehen fühlt sich die Nachwuchsgeneration in den alten bestehenden Formaten einfach nicht gut abgeholt. Hier hat die gesamte Szene einen Nachholbedarf und muss sich anpassen, um auch die jungen Menschen zu erreichen.“

Suche Lehrling, biete G-Klasse

Vom hohen Norden geht es in den Süden, genauer in den Odenwald. Ungewöhnliche Wege zur Nachwuchsrekrutierung geht dort Kfz-Meister Patrick Lippick. Er ist Chef des „G Werks“ (Karosseriebau und Lackiererei, Oberzent), einem Spezialisten für die Restaurierung der Mercedes-Benz G-Klasse, seine Frau Katarzyna arbeitet als Sattlerin die Innenausstattung der Geländewagen auf. Der Betrieb leidet unter akutem Fachkräftemangel. Idee: „Suche Lehrling, biete G-Klasse“, inserierte die Firma über ein Kleinanzeigenportal.
Wir werden unserem neuen Lehrling, der Kfz-Mechatroniker lernt, eine alte G-Klasse zur Verfügung stellen. Die kann er in seiner Ausbildungszeit unter Anleitung restaurieren, dass sie die H-Zulassung bekommt. Danach darf er sie behalten“, erklärt Patrick Lippick. Bedingung für den Deal: regelmäßige Schulbesuche und gute Noten. Das Darmstädter Echo und die BILD-Zeitung haben schon über die Aktion berichtet, zwei Praktikanten schnuppern bereits Oldtimer-Luft in der Werkstatt. Start der Ausbildung ist im September. Na, wenn das nicht motiviert, was dann? (dr)

Fotos: Michael Müller-Funk | Patrick Lippick | Dorian Rätzke

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