Streitfall H-Kennzeichen: Kulturgut, Sparmodell oder Umweltsünde?

Von DORIAN RÄTZKE
Ein betagter Ford Sierra aus den 90ern mit H-Kennzeichen tuckert durch die Stadt – ein rollendes Stück Geschichte oder ein Steuersparmodell auf vier Rädern? Letzteres sieht ein Online-Artikel des ZDF, der die Oldtimer-Szene jetzt in Aufruhr versetzt. Droht eine „Schwemme“ an historischen Kennzeichen, die den Kulturgut-Gedanken ad absurdum führt? So der Tenor des Berichts.
Aber: Verdient jedes alte Auto den Status eines Zeitzeugen, oder sind es nur umweltbelastende Relikte einer vergangenen Ära?
Kritiker fordern strengere Regeln, während Enthusiasten ihre Fahrzeuge als unverzichtbare Zeugnisse automobiler Kultur verteidigen. Experten wie Jan Hennen, (Sprecher des DEUVET Bundesverband Oldtimer-Youngtimer e.V)., Vincent Krampol (Geschäftsführer von Krampol Oldtimer UG), Frank Wilke (Geschäftsführer von classic-analytics) und OCC-Spezialist Tim Nagel (Expert Classic Car Underwriting) tauchen für das OCC-Magazin tief ein in die Diskussion. Was macht ein altes Auto schützenswert?
Eine Debatte, die buchstäblich unter die Haube geht …
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So berichtet die ZDF-Nachrichtensendung "heute" auf ihrem Onlineauftritt über die angeblich drohende Schwemme bei Oldtimern.
Das H-Kennzeichen: Symbol mit Streitpotenzial
Das H-Kennzeichen, geregelt in § 23 der Fahrzeugzulassungsverordnung, zeichnet Fahrzeuge aus, die mindestens 30 Jahre alt sind und sich in weitgehend originalem Zustand befinden. Es bringt Steuervergünstigungen und Befreiung von Fahrverboten, um Technikgeschichte zu bewahren. Doch die Zahl der H-Kennzeichen steigt stetig – laut Kraftfahrt-Bundesamt waren 2024 über 500.000 Fahrzeuge registriert, ein Anstieg von 20 % in fünf Jahren.
Für Kritiker ein Zeichen von Missbrauch, für Liebhaber ein Beleg für die Lebendigkeit der Szene. Das H-Kennzeichen ist kein Gütesiegel, sondern eine rechtliche Kategorie, betont Frank Wilke von classic-analytics: „Subjektive Wertungen, was ‚erhaltenswert‘ ist, führen nur zu endlosen Diskussionen.“ Doch genau diese Diskussionen befeuern die Kontroverse: Soll jedes Auto, das die 30-Jahre-Marke knackt, als Kulturgut gelten?
Schwemme oder berechtigtes Interesse?
Der ZDF-Artikel schürt Ängste vor einer „Schwemme“ an H-Kennzeichen, die Umwelt und den Kulturgut-Gedanken gefährden. Alte Autos ohne moderne Abgasnormen würden die Luft belasten, und Steuertricks seien keine Seltenheit. „Da sind zu viele Massenfahrzeuge dabei, die zu viele Abgase ausstoßen – mehr als die neuen Regeln eigentlich erlauben. Wir sehen da Autos, die ohne grüne Plakette, ohne Katalysator in die Umweltzone fahren“, zitiert das ZDF die Umweltschützerin Marina Falke vom BUND.
Die DEUVET-Studie „Bestandsanalyse 90er-Jahre-Pkw“ widerspricht entschieden: „Nur wenige begehrte Modelle wie Cabrios, hochmotorisierte oder obere Fahrzeugsegmente behalten einen Marktwert, der ihren Erhalt rechtfertigt. Eine signifikante Nutzung von 90er-Jahre-Fahrzeugen im Alltag ist nicht zu erwarten.“ Die Studie zeigt, dass Selbstreinigungsmechanismen des Marktes greifen: Alltagsautos wie ein Opel Astra der 90er verlieren oft an Wert und werden verschrottet, bevor sie das H-Alter erreichen.
Eine weitere DEUVET-Studie („Sensitivitätsanalyse Oldtimer“) bewertet die Auswirkungen der historischen Mobilität im Zeitraum bis 2040. Fazit: Es ist zwar ein Wachstum bei Pkw mit H-Kennzeichen in den nächsten 15 Jahren zu erwarten, jedoch steigt der Fahrleistungsanteil aller Fahrzeuge Ü30 bis 2040 nicht über 0,5 % (!) der Gesamt-Pkw-Jahresfahrleistung. Dementsprechend liegt der CO2-Emissionsanteil aller Ü30-Fahrzeuge bis 2024 deutlich unter 1 % der Gesamt-CO2-Emissionen des Pkw-Verkehrs.
DEUVET-Sprecher Jan Hennen verteidigt deswegen die Youngtimer: „Autos der 80er bis 00er bieten besseren Rostschutz, Sicherheitsfeatures wie ABS und Komfort wie Klimaanlagen – ohne den nervigen Schnickschnack moderner Fahrzeuge.“ Die Abwertung von „Brot- und Butterautos“ wie dem Ford Sierra, der heute seltener ist als mancher Mercedes 300 SL, nennt er „arrogant“.
Kulturgut oder Alltagsauto?
Was macht ein Auto zum Kulturgut? Für Puristen zählen Seltenheit, technischer Fortschritt oder ikonisches Design – ein Mercedes 300 SL oder ein Porsche 911 sind unstrittige Klassiker. Doch ein VW Golf III oder ein Mercedes A-Klasse der ersten Generation? Die Szene ist gespalten.
Vincent Krampol (Krampol Oldtimer) hebt emotionale Werte hervor: „Youngtimer sind Familienerbstücke, Kindheitserinnerungen, erfüllte Jugendträume.“ Ein 90er-Jahre-Opel Kadett mag technisch unspektakulär sein, doch für viele ist er ein Stück Lebensgeschichte. Dennoch sieht Krampol Risiken: Eine Flut jüngerer H-Kennzeichen könnte den Kulturgut-Gedanken verwässern und das Ansehen klassischer Oldtimer schmälern. Frank Wilke plädiert für eine breitere Perspektive: „H-Kennzeichen sollten die automobile Vielfalt abbilden. Sonst denkt die junge Generation, früher fuhren nur Porsche 911 und hochpreisige Mercedes.“ Der Gesetzgeber setze bewusst auf objektive Kriterien wie Alter und Originalität, um subjektive Wertungen zu vermeiden.
Umwelt versus Tradition
Die Umweltkritik ist der wunde Punkt der Szene. Oldtimer, insbesondere Dieselmodelle, emittieren mehr Schadstoffe als moderne Fahrzeuge. Doch ihre Fahrleistung ist gering – laut DEUVET durchschnittlich unter 5.000 Kilometer pro Jahr. Die Studie betont: „Bestandszuwächse betreffen vor allem Cabrios und Premiummodelle, die kaum im Alltag genutzt werden.“ Ein BMW 8er oder ein Audi Cabriolet der 90er sind Liebhaberfahrzeuge, keine Pendlerautos. Hennen bleibt kämpferisch: „Oldtimer sind kein Massenverkehr. Die Umweltdebatte wird übertrieben.“ Dennoch wächst der Druck: Umweltzonen und strengere Auflagen bedrohen die Szene. Vorschläge wie Elektro-Retrofits oder höhere Steuersätze für H-Kennzeichen stoßen auf Skepsis. Vicent Krampol warnt: „Zu strenge Regeln könnten junge Enthusiasten abschrecken. Ohne Nachwuchs stirbt die Szene.“ Ein Kompromiss sei schwer, aber nötig.
OCC-Experte und Szene-Kenner Tim Nagel: „Jede Generation hat ihre eigenen Klassiker. Die älteren Altblechfreunde fremdeln vielleicht mit dem Gedanken an einen VW Golf 2 oder 3, Mercedes-Benz W124/ W201 oder Opel Corsa mit H-Kennzeichen, da sie eher belanglose Massenfahrzeuge ohne Chrom und Faszination sind, die gerne als schlichte Gebrauchtwagen oder „Rostlauben“ tituliert werden. Hierbei sollten meiner Meinung nach die älteren Altblechfreunde bedenken, womit ihre eigene Leidenschaft für Altblech begonnen hat: Mercedes /8, W123 oder VW Käfer, als diese vor Jahren ebenfalls als Gebrauchtwagen galten."
Ein Zündschlüssel für die Zukunft
Fazit: Die H-Kennzeichen-Kontroverse legt das Spannungsfeld zwischen automobiler Kultur und Umweltbewusstsein offen. Aber: Die DEUVET-Studie liefert genug Argumente, um die Sorge von Umweltaktivisten vor einer angeblichen H-Kennzeichen-„Schwemme“ zu entkräften. Außerdem zeigt Frank Wilkes Plädoyer für Vielfalt: Alltagsautos wie ein Ford Sierra sind genauso Teil der Autogeschichte wie ein Mercedes 300 SL. Doch die Szene steht vor einer Herausforderung: Wie bleibt sie lebendig, ohne den Kulturgut-Gedanken zu verwässern oder Umweltkritiker zu provozieren? Ob mit klaren Regeln oder klugen Kompromissen – die Oldtimer-Community muss ihren Kurs finden, damit auch in Zukunft ein betagter Ford Sierra als Zeitdokument automobiler Alltagskultur gewürdigt werden kann. Die Debatte bleibt spannend und hoffentlich von allen Seiten fair und pannenfrei.
Zum ZDF-Artikel geht es hier.
Fotos: pixabay.com | classic-analytics | DEUVET | Krampol Oldtimer UG | OCC Assekuradeur
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