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70 Jahre Isetta: ein Meisterwerk der Kleinwagen-Geschichte

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Von DORIAN RÄTZKE
Petticoat, Nierentisch, Rock’n’Roll: Die 50er Jahre sorgten nach dem grauenvollen Weltkrieg wieder für Aufbruchstimmung in Deutschland. Die Lufthansa fliegt von Hamburg nach München, in den Geschäften locken volle Regale, Bundeskanzler Ludwig Ehrhard verkündet „Wohlstand für alle“, Italien wird zum Lieblingsurlaubsland. 
Und ein kleines, erschwingliches Auto beschleunigte die Reiselust der Deutschen. Vor 70 Jahren, am 5. März 1955, stellte BMW den Kleinwagen Isetta in einem Hotel in Rottach-Egern vor. Mit ihrem ikonischen Ei-Design, ihrer cleveren Technik und ihrer Rolle als Symbol des deutschen Wirtschaftswunders schrieb sie Automobilgeschichte. 
Kein Luxuswagen, kein Rennbolide, sondern ein praktischer Begleiter für die Massen – und genau das macht sie bis heute so besonders. 
Zum 70-jährigen Jubiläum der Isetta tauchen wir mit fachlicher Unterstützung des Isetta Club e.V. (1300 Mitglieder weltweit) tief in ihre Technik, Geschichte und ihren Charakter ein, beleuchten die Details und liefern eine umfassende Kaufberatung für alle, die sich in die Isetta verliebt haben oder es noch tun werden. 

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Festlich geschmückt mit Luftballons zum 70:  die Isetta vor malerischem Hintergrund in Rottach-Egern. Hier startete im März 1955 die Karriere des Kleinwagens, als er erstmals Journalisten vorgestellt wurde.  
Foto: Alexander B. Mueller

Historie: Vom Ei zum Kult

Die Geschichte der Isetta ist eine Reise von Italien nach Deutschland. BMW suchte ab 1954 nach einem preiswerten Modell unterhalb der teuren 501 Limousine mit Vorkriegssechszylinder. Ein Generalvertreter von BMW für die Schweiz entdeckte bei seinem Besuch auf dem Genfer Salon ein „verkleidetes Motorrad“ mit dem Namen Isetta. Der Hersteller war die italienische Firma Isomoto, die unter anderem auch Kühlschränke baute. Besonderheit der Isetta: Die gesamte Front war nach vorn wegklappbar – mit einer Fahrertür, die an einen Kühlschrank erinnerte. Lenkrad und Armaturen waren in der Tür befestigt, bequemer konnte man in ein Fahrzeug nicht einsteigen. Die BMW-Chefs waren begeistert von diesem Winzling, Vorstand Kurt Donath und Fritz Fiedler, Leiter der Entwicklungsabteilung, fuhren nach Mailand. Nach Verhandlungen mit Iso-Chef Renzo Rivolta war klar: BMW kaufte die Lizenzen und Karosseriewerkzeuge. Die 1955 vorstellte BMW-Isetta war in vielen Details modifiziert und verbessert worden (u.a. oben statt unten angebrachter, freistehender Scheinwerfer und ein neuer Motordeckel). Entwickler Fritz Fiedler damals über die Vorteile der Isetta:

„1. Der Preis der Karosserie wird entscheidend von der Zahl der Türen beeinflusst. Man kommt mit einer Tür aus. Die Tür schwenkt nicht in die Außenhaut der Karosserie hinein, sondern liegt frei vor der Stirnseite und ist daher unfallsicher. 

2. Drei Räder sind billiger, aber auch schlechter als vier. Ein einziges angetriebenes Hinterrad ist überlastet. Daher wurden zwei Hinterräder gewählt. Die schmale Spur erspart Differential und eine Bremse.

3. Der Motor konnte vor die Hinterachse gelegt werden, wodurch sich eine ideale Gewichtsverteilung ergab.

4. Durch einen querliegenden Antriebsstern mit zwei Hardyscheiben sind Achs- und Motoraufhängung unabhängig.

5. Die Eiform des Aufbaues ist der Natur entnommen. Sie benötigt geringen Aufwand an Werkstoff, um einen bestimmten Innenraum zu umhüllen.“

Für 2.550 DM (250-cm³-Motor) stand die Isetta beim Händler – bereits im 1. Jahr wurden 10.000 Exemplare verkauft. Vorteil: Für den Kabinenroller benötigte man damals keinen Pkw-Führerschein, eine Motorradlizenz genügte.  

Im BMW-Werk in München lief die Isetta vom Band. Über 10.000 Exemplare wurden im ersten Produktionsjahr verkauft, Gesamtstückzahl: 161.728. 

Technik: klein, aber genial durchdacht

Die Isetta beweist, dass Größe nicht alles ist – ihre Technik ist ein Paradebeispiel für Effizienz, Kreativität und pragmatisches Design. 

Konstruktion: Die selbsttragende Stahlkarosserie ist ein Meisterwerk der Einfachheit. Ohne Hohlräume oder überflüssige Verstrebungen bietet sie wenig Angriffsfläche für Rost – ein Vorteil gegenüber anderen Oldtimern. Willi Unfried, Typ-Referent beim Isetta Club e.V.: „Die Standard-Isetta (1955-1956) nutzte Reibungsdämpfer an der Vorderachse, während die Export-Version (ab 1957) auf Stoßdämpfer mit Schraubenfedern setzte – eine Verbesserung, die Wartung und Komfort steigerte. Hinten sorgt eine starre Schwingachse mit Blattfedern für Stabilität, ergänzt durch 10-Zoll-Räder, die Wendigkeit garantieren, aber auch Pflege bei Schlaglöchern erfordern.“ 

Lenkung: Zwei Kardangelenke sorgen für präzise Lenkung. Der Club weist darauf hin, dass die Silentblöcke oft ausgeschlagen sind – ein typisches Verschleißteil, dessen Austausch mit Nachbauten möglich ist, auch wenn Originalteile selten sind. 

Bremsen: Hydraulische Trommelbremsen bieten eine solide Verzögerung – 180 mm Trommeldurchmesser vorn in Blech, hinten in Guss. Der Isetta Club betont, dass Radbremszylinder schwer zu bekommen sind; ihr Ersatzteildienst empfiehlt, gebrauchte Teile zu sichern oder auf Überholungen zu setzen. 

Elektronik: Die Dynastartanlage, eine Kombination aus Anlasser und Lichtmaschine, ist ein Highlight. Der Club bestätigt, dass Kohlebürsten und Kollektor Verschleiß zeigen – eine Inspektion alle paar Jahre hält das System am Laufen. Die Batterie: 12 V 30 Ah.

Die Technik zeigt BMWs Innovationskraft. Norbert Schardt, 1. Vorsitzender des Isetta Club e.V.: „Sie gilt als robust, aber wartungsintensiv, was bei Restaurierungen berücksichtigt werden muss.“

Praktisch: die Tür des Kleinstwagens ließ sich von vorn öffnen – wie bei einem Kühlschrank. 

Motor: das pulsierende Herz mit Motorrad-DNA

Der Motor ist das Herz der Isetta – laut, rau und voller Charakter. 

Varianten: Der 250-cm³-Einzylinder (12 PS) trieb die Standard-Isetta an, der 300-cm³-Motor (13 PS) die Export-Version. Beide sind Viertakter mit Motorrad-Technik (OHC). Der Club bestätigt die Höchstgeschwindigkeit von etwa 80 km/h beim 300er und empfiehlt den größeren Motor für längere Strecken wegen besserem Drehmoment. 

Schwachstellen: Das Ölschleuderblech bleibt ein Risiko – der Isetta-Club rät zu regelmäßiger Reinigung, um Pleuellagerschäden zu vermeiden. Ventilabrisse durch ausgeschlagene Führungen sind ebenfalls ein Thema, besonders bei Vernachlässigung. 

Wartung: Der Isetta Club empfiehlt Synthetiköl (z. B. 20 W-40, früher SAE 30) und eine Ventileinstellung alle 5.000 km. Eine Motorüberholung (1.000-1.500 €) ist oft nötig, aber lohnend. Der Isetta-Club e.V. bietet eine große Anzahl an Ersatzteilen (ca. 1.500 Teile im Angebot).

Der Motor macht die Isetta lebendig – mit Pflege ein zuverlässiger Begleiter, wie der Club aus Erfahrung weiß.

So warb BMW früher um Kundschaft für die Isetta: „Immer gut gelaunt mit der BMW Isetta, dem idealen Allwetter-Fahrzeug“, hieß es auf dem Werbeplakat.

Lack: Farbenpracht mit Geschichte

Die Lackierungen der Isetta sind ein optisches Statement. Es geht farbenfroh zu in der Knutschkugel-Welt.  

Standard (1955-1956): Einfarbig in Beige, Cortinagrau oder Signalrot, ab 1956 zweifarbig (z. B. Cortinagrau über Weinrot). Der Club nennt diese Varianten typisch für den deutschen Markt. 

Export (1957-1962): Bunter mit Japanrot, Türkis oder Sanddünenbeige, oft zweifarbig. Die Trennlinie wanderte 1960 an die Fensterkante – ein Detail, das der Club als Baujahrmarker hervorhebt. 

Besonderheiten: Sonderlackierungen wie zweifarbige Türen oder Werbemodelle (z. B. Coca-Cola) sind selten und begehrt. Der Isetta-Club bietet Farbenheft für Restaurierungen an.

Stückzahl: inzwischen ein seltenes Juwel

Produktion: Exakt 161.728 gebaute Isetten gab es von 1955 bis 1962 – ca. 26.000 Standard-Modelle, über 135.000 Export-Versionen. 

Heute:  Etwa 6 - 8.000 Fahrzeuge sollen noch weltweit existieren. In Deutschland sind etwa 2.000 zugelassen, einige mit H-Kennzeichen.

Isetta-Kaufberatung: Worauf Sie achten sollten

Axel Klinger-Köhnlein, Isetta-Experte bei der BMW Group Classic: „Die Isetta ist der optimale Oldtimer für Hobby-Bastler. Die Technik ist nicht zu kompliziert und gut zugänglich. Auch benötigte das Motocoupé nicht viel Platz: Sie lässt sich problemlos in einer Einzelgarage zerlegen und lässt dabei noch genug Raum zum Restaurieren des Rahmens und der Karosserie.“
Vor einem Kauf unbedingt Motor und Getriebe checken. Aufgrund der starken Belastung (Vollgasfahrten) des schwachbrüstigen Motors (12 PS, 80 km/h Spitze) ist oft eine Motorüberholung nötig. Norbert Schardt, 1. Vorsitzender des Isetta Club e.V. nennt weitere Schwachstellen:   

Karosserie: Rost an Bodenblech, Radkästen und Nähten prüfen – verzinnte Nähte sind original. Der Club warnt vor Schäden an der Tür. 

Technik: Motor (Ölschleuderblech, Ventile), Getriebe (Schaltbarkeit) und Stoßdämpfer (Export) testen. Der Ersatzteildienst hilft bei Raritäten. 

Innenausstattung: Originalität zählt – Polsterung ist erneuerbar (1.200 - 1.500 €). 

Preise: Restaurierungsbedürftig ab 7.000 €, fahrfertig 15.500 €, Topzustand etwa 30.000 €. 

Tipp: Der Isetta-Club empfiehlt Export-Modelle für Einsteiger und bietet mit WIKIsetta (Online-Datenbank) und diversen Ersatzteilen unschätzbare Hilfe.

Fazit: Die bayrisch-italienische Knutschkugel eroberte mit Minimalismus und Charme die Automobil-Welt Legende erhält. Mit viel Pflege bleibt sie ein treuer Begleiter für kommende Generationen. Deswegen: Steigen Sie ein, durch die Fronttür natürlich!

PS: Das 48. Isetta-Jahrestreffen des Clubs findet vom 22.08. bis 24.08.2025 in Fürstenfeldbruck statt – dort soll der 70. Geburtstag der Knutschkugel ausgiebig gefeiert werden. 

Viele weitere Infos finden Sie auf der Seite des Isetta Clubs Deutschland e.V. 

Fotos: Isetta Club e.V | Alexander B. Mueller | BMW AG 

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