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Er war der Vater der Keilform:
Trauer um Star-Designer Marcello Gandini

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Sein Vater war Dirigent und wollte aus ihm einen Pianisten machen. Aber statt Bach und Mozart liebte Marcello Gandini (Titelfoto) die Töne der Motoren – zum großen Glück für die Automobilwelt. Der Turiner Designer schuf einige der schönsten und begehrtesten Klassiker. Darunter die Lamborghini-Modelle Miura, Countach und Diablo, den Fiat X19, Alfa Romeo Montreal, Maserati Biturbo, Citroen BX, Lancia Stratos oder Kleinwagen wie den Mini-Innocenti. Aber auch für so unterschiedliche Alltagsautos wie den Audi 50 und den BMW 2500 zeichnete Gandini die Formen, ebenso für den 5er BMW (Modellreihe E12).
Jetzt starb Marcello Gandini im Alter von 85 Jahren.

Wir erinnern an den genialen Italiener, der über einige Umwege seine eigentliche Bestimmung fand und sich selbst schon zu Lebzeiten mehr als ein Denkmal setzte.

Marzal

Vollverglastes Dach und vollverglaste Flügeltüren: Marcello Gandini zeigte beim Prototyoen Lamborghini Marzal seine Designkunst.

Rebellion statt Studium

Noch am 12. Januar 2024 empfing Marcello Gandini die Ehrendoktorwürde für Maschinenbau am Polytechnikum Turin, wie die italienische Tageszeitung La Repubblica berichtete. Dort erzählte der betagte Designer den erstaunten Studenten, wie wenig gradlinig sein Weg verlief. Marcello Gandini in seiner Rede: „Die Ursprünge meiner Ausbildung liegen in einer Familientradition, die nicht viele Umwege zuließ: Der natürliche Ausweg waren humanistische, literarische und klassische Studien. Aus Gewohnheit habe ich daher das klassische Gymnasium besucht und Klavier studiert. Dann habe ich rebelliert und bin meinen eigenen Weg gegangen …"

Gandini

Marcello Gandini arbeitete bis zuletzt an neuen Projekten. Sein Credo: "Um etwas Neues zu entwerfen, muss man alles wissen."

Ein Buch veränderte sein Leben

In der neunten Klasse hatte sich Marcello Gandini ein Buch gekauft, das sein ganzes späteres Leben beeinflussen sollte. "Motori Endotermici" von Dante Giacosa, dem Vater des Fiat Topolino. Gandini interessierte sich früh für Design, seine Werkzeuge waren der Bleistift und das Papier. Er konnte gut beobachten und skizzieren. So entstanden sogar Möbelstücke aus seiner Feder. Sein Credo: „Um etwas Neues zu entwerfen, muss man alles wissen."
Gandini arbeitete auch als Auto-Mechaniker, eignet sich so Stück für Stück das nötige Wissen an.
Mit 26 Jahren zeigte er seine Arbeiten Nuccio Bertone. Der stellte ihn zwei Jahre später ein. Ironie der Geschichte: Gandini löste den anderen Design-Star Giorgetto Giugiaro ab. Der soll zuvor noch sein Veto bei der Einstellung von Gandini eingelegt haben.
Die 14 Jahre bei Bertone wurden die fruchtbarsten für Gandini. Das Ergebnis waren unter anderem die Lamborghini Miura, Espada, Urraco und Countach.
Die keilförmigen Linien wurden zu seinem Markenzeichen.


So entstand der Name Countach

In einem Interview für die offizielle Lamborghini Webseite lüftete Gandini auch das Geheimnis, wie es zum Namen Lamborghini Countach kam. Demnach hätten er und einige Kollegen wieder bis in die Nacht gearbeitet, um die neuen Fahrzeuge für die Präsentation auf einer Autoshow vorzubereiten. Ein Mitarbeiter soll auf Piemontesischen Dialekt immer wieder „countach“ gerufen haben. „Piemontesisch ist ganz anders als Italienisch und klingt wie Französisch. 'Countach' bedeutet wörtlich übersetzt Pest, Ansteckung und sollte eigentlich eher Erstaunen oder sogar Bewunderung ausdrücken... Wenn wir nachts arbeiteten, um unsere Moral aufrechtzuerhalten, herrschte ein Kampfgeist, und ich sagte, wir könnten ihn Countach nennen, nur als Scherz.“ Auch Testfahrer Bob Wallace soll Augen- und Ohrenzeuge der Situation gewesen.
Gandini erinnerte sich: „Also fragte ich Bob Wallace scherzhaft, wie sich das für ein angelsächsisches Ohr anhört. Er sagte es auf seine eigene Art. Es funktionierte. Wir dachten uns sofort den Schriftzug aus und klebten ihn auf. So kam der Name zustande. Das ist die einzig wahre Geschichte hinter diesem Wort."


Countach

Schneller Keil: Der Lamborghini Countach LP 400 (1975) wird von einem V12 mit 375 PS angetrieben. Topspeed: 309 km/h.

Neue Ideen bis zuletzt

Sich zur Ruhe setzen wie normale Rentner, kam für Gandini nie in Frage. Bis ins hohe Alter arbeitete und tüftelte er an neuen Designideen, zuletzt für ein Projekt in Katar. Dort entwarf Gandini eine Schulungsplattform für das Automuseum in Doha. Sein Rat an die Turiner Studenten: „Aber hören Sie nicht auf zu schreiben, zu zeichnen, zu rechnen und Skizzen auf Papier zu machen. Der Bleistift ist ein außergewöhnliches Mittel, um das Gehirn - die Ideen - mit der Realität zu verbinden, und ein Projekt mit einem Blatt Papier und einem Bleistift zu beginnen, bedeutet, dass es eine Idee gibt. Wenn es keine originelle Idee gibt, kann kein technologisches Wunderkind sie für dich erschaffen."

Warum sind Autos eigentlich so faszinierend für Kinder?

Auch dafür hatte Marcello Gandini eine bemerkenswerte Erklärung, wie er dem italienischen Automobilmagazin Quattroruote verriet: „Schon bei den kleinsten Kindern gibt es einen Instinkt, der sie dazu bringt, Autos zu lieben, mit Spielzeugautos zu spielen. Wir verstehen die Gründe für diese Leidenschaft nicht wirklich, aber ich führe sie zumindest teilweise auf einen phänomenalen Aspekt zurück, der fast nie erkannt wird: die Tatsache, dass das Auto eng mit der einzigen Erfindung der Menschheit verbunden ist, die es in der Natur nicht gibt, dem Rad…

Buon viaggio, Marcello Gandini. (dr)

Fotos: Automobili Lamborghini S.p.A. | Zwischengas.com, Bruno von Rotz | BMW AG | Carrozzeria Bertone

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