Mein erstes Auto:
ein Knudsen-Ford
Von JENS TANZ
Die automobile Sehnsucht wird tief in der Jugend geschaltet. Ich kann ihn spüren, den Sog, der viele Männer mittleren Alters in die Onlineportale treibt – auf der Suche nach dem ersten Auto, was uns geprägt hat. Das erste Mal. Es ist wie der erste Kuss, die erste große Liebe, das erste Glas Wein. Bei mir fing das Thema „Taunus“ im Alter von 15 Jahren an. Und mit 19 gleich nochmal. Und mit 42. Ein Knudsen steht heute, mit 50, wieder vor der Garage.
1986 – ein Sommer mit verbleitem Super
Ich war eigentlich noch ein Kind, fuhr meinen täglichen Weg zur Schule mit dem Fahrrad – und sah ein sonnengelbes, abgemeldetes Auto in einer Einfahrt leuchten. Rostig, kein TÜV, aber irgendwie sehr amerikanisch. Am Rande der Geschäftstüchtigkeit bot ich dem Besitzer mein gesamtes Erspartes, ziemlich genau 100 Mark. Er ging darauf ein. Ich besaß einen zweitürigen 1975er Ford Taunus L mit dem schwachbrüstigen 1.6 Liter Vierzylinder und hatte weder einen Stellplatz noch einen Führerschein. Meinen Eltern erzählte ich erst einige Tage später davon.
Der offiziellen Nachfolger des frontgetriebenen P6 15M war für damalige Verhältnisse technisch hochaktuell und hatte statt der altbackenen V4 Motoren moderne OHC Reihenvierzylinder von 1.3 bis 2.0 Litern Hubraum, wahlweise auch die bewährten V6 Motoren mit 2.0 und 2.3 Liter, die so herrlich blubbern. Mit 15 bestand das sonntägliche Glück aus 5 Litern verbleitem Super und einen großen Schluck Kühlwasser. Es war eine automobile Liebe auf den privaten Feldwegen des Bauernhofs einer Klassenkameradin! Erste Eindrücke von der Freiheit, die nur das eigene Auto vermitteln kann. Eine Prise von erwachsen sein zwischen Ölpumpen, unkatalysiertem Abgas und schlimmen Klamotten.
1990 – erwachsen mit eigenem Auto
Die Frage nach dem ersten zugelassenen Auto wurde ganz klar mit "Ford Taunus" beantwortet, obwohl dieses Modell schon damals anmutete wie ein Saurier aus dem Paläozoikum! Ein 1,6 Liter XL Coupé von 1975, die seltenste Variante des insgesamt über 1,1 Millionen mal gebauten Megarosters! Schlimm lila gerollt, aber mit TÜV und Vinyldach. Schöner wäre ein 1971er V6 GXL gewesen, mit den coolen tief liegenden Armaturen. Egal, für 900 Mark wurde diese Möhre meine zweite große und diesmal offizielle Liebe.
Es folgte eine etappenweise Wiederauferstehung nach einem Schönheitsideal, was heute nicht mehr sorgenfrei nachzuvollziehen ist. Innen viel Holz, außen viel Chrom. Das Lila blieb, das flächendeckend unterrostete Vinyldach auch. Jeden Tag trug mich der antike Hecktriebler zur Lehrstelle und zur Berufsschule, am Wochenende zu Freunden und im Urlaub quer durch Europa. Meine optischen "Verbesserungen" konnten nicht vertuschen, dass Salz und Regen weiter an dem schlecht konservierten Blech nagten. Im Winter 1994 brach beim Anheben des Vorderwagens der Wagenheber stumpf durch das Bodenblech in den Innenraum und gab den Blick auf eine endlose Rostwüste frei. Schluss. Vorbei. Das Heck und den Motor gibt es noch immer, aber das ist eine andere Geschichte.
2012 – das Leben und die kleinen Fluchten
Ehe. Kinder. Haus. Scheidung. Leben eben. Und eine große Portion Sehnsucht nach „damals“. Im Netz tauchte plötzlich und unvorbereitet ein 1974er Taunus Coupé auf. Mein Herz hüpfte. Das Auto meiner Jugend! Dank Filmen wie "Bang Boom Bang" hatte der Nasen-Ami mit der nach dem damaligen US-Designchef Bunkie Knudsen benannten Haubenausbuchtung inzwischen den Status "Kult". Damit rutschte er bei gleichbleibender Rostproblematik preislich in die Liga von Ford Granada und Mercedes /8, also mit 900 Mark war nun kein Geschäft mehr möglich. Etwas mehr. Egal. Nur wenige Stunden später stand ich vor einem goldbronzenen Fahrzeug in erstaunlich gutem schwedischen Ersthand-Zustand. Kein 1971er V6 GXL, aber immerhin mit Vinyldach und dem seltenen 2.0 Vierzylinder "Pinto"-Motor, der genau wie die einteiligen Sitze eigentlich nur der GT-Version vorbehalten war. Ja, den wollte ich! Zulassen, reinsetzen – und ich war wieder Teenager!
An der Tankstelle blieb immer Zeit für ein kleines Schwätzchen, denn interessanterweise hatte jeder mal so einen Knudsen (oder zumindest die Eltern oder der Nachbar). Die Augen der anderen leuchteten fast genau so wie meine, und offensichtlich befand ich mich in einem klaren Trend: Oldtimer fahren in einer Zeit, die schnell und unpersönlich geworden war. Wo ein Automobil kein Lebensgefühl mit Klang und Geruch, sondern ein steriles Zweckmittel mit Multimediaanbindung und lautlosem Antrieb wurde. Ich gab das Coupé wieder her, als mir vor einem Supermarkt der doppelte Kaufpreis geboten wurde. Leben eben.
2016 – angekommen im Hier und Jetzt
Noch mehr Kinder, noch mehr Job und noch mehr Verpflichtungen. Ein Arbeitsplatz in einem virtuellen Universum und eine immer verrücktere Welt. Noch mehr Sehnsucht nach dem Fels in der Brandung. Mein Freund Jörg rief mich an und sagte „Hier steht so ein 1971er Coupé rum. Ich glaub ein V6 mit der GXL Ausstattung, weißt du? Vinyldach und Kunstleder und so“. 30 Jahre nach meiner ersten Knudsen-Liebe kam (mal wieder) sehr unerwartet das Auto, was ich schon immer wollte. GENAU das. Die Preise lagen inzwischen auch nicht mehr bei „etwas mehr als 900 Mark“, aber ich fuhr hin, setzte mich rein - und es machte KLICK. Kennen Sie das? Man trifft sich mit der Jugendliebe und spürt noch genau, warum man damals so verliebt war?
Es ist die persönliche Zeitmaschine. Das Coupé ist noch heute bei mir, so lange haben es die Vorgänger nicht geschafft. Es ist nicht nur die Entschleunigung, die einem ein Auto gibt, was keine Displays und keine Pieps-und-Blink-Lampen an Bord hat. Es ist ein Stück gefühlte Beständigkeit. Bei allen Rostproblemen, die in den vergangenen 30 Jahren nicht kleiner geworden sind, ist mein Blick über die Motorhaube der gleiche wie 1986. Die Welt da draußen ist es leider nicht, und auch die Gelassenheit und die Verantwortungslosigkeit eines Teenagers kann so ein erstes Auto nicht zurück bringen. Aber das Coupé zaubert mir die Glücksgefühle ins Herz, die an die erste große Liebe erinnern. Der Heimweg wird zum Umweg, und mit der richtigen Musik ist das Leben dann ein bisschen einfacher. Da spricht wohl nichts dagegen...
Text und Fotos: Jens Tanz
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