50 Jahre Atlantis Amalfi:
Das Montags-Auto, das es nie gab
Eigentlich sieht er wie eine typische Limousine der 70er Jahre aus. Rechteckige Frontscheinwerfer, kantiges Design, gelber Lack, vier Türen, Kofferraum. Ein Italiener, Franzose oder Deutscher? Alfa Romeo, Renault, Ford oder Opel? Weder noch! Es ist ein Phantom…
Die Geschichte des gelben Autos, das es in Wahrheit gar nicht gibt, war der Straßenfeger im deutschen TV der 1970er Jahre. Millionen TV-Zuschauer verfolgten gebannt in der ARD-Serie „PS – Geschichten ums Auto“, wie eine Familie im Autohaus einen neuen Pkw (den Atlantis Amalfi) kauft und anschließend nur Ärger mit ihm hat.
Der fiktive Atlantis Amalfi wies – natürlich nur rein zufällig – gewisse Ähnlichkeiten mit real existierenden Herstellern auf. Er wurde 1974 extra für die Serie konstruiert – und leider 1983 verschrottet.
Inzwischen kann der Atlantis Amalfi 50. Geburtstag feiern. Wir erinnern an das skurrile Fahrzeug, das ein Stück automobiles Kulturgut geworden ist und wir beleuchten den spektakulären Amalfi-Nachbau der Neuzeit.
Da gab's was zu gucken: Der Atlantis Amalfi CS 1800 war das Traumauto der Familie Schmitting in der TV-Serie
Darum hieß das Auto Atlantis Amalfi
Am 18. Mai 1975 startete die vom NDR produzierte Serie im Ersten Deutschen Fernsehen. Alles dreht sich um das Autohaus Neubert in Darmstadt, das neben BMW, Fiat und Citroen auch die fiktive Marke Atlantis verkauft. Der Junior-Chef des Autohauses wurde von Günter Pfitzmann gespielt (1924–2003, später berühmt und beliebt durch die 80er ARD-Serien „Praxis Bülowbogen“ und „Drei Damen vom Grill“).
Extra für die TV-Produktion wurde ein Jahr zuvor (1974) auf Basis eines Fiat 132 der Atlantis Amalfi CS 1800 gebaut. Der Name Amalfi (benannt nach der italienischen Amalfiküste) sollte den Eindruck eines ausländischen, insbesondere italienischen Autos erwecken. Rückleuchten, Tankdeckel und Heckblech borgten sich die Autobauer vom Mercedes-Benz /8. Die Rückspiegel stammten vom VW K 70, die vorderen Stoßstangen spendierte ein VW Passat, die hintere ein BMW 02, seitliche Stoßleisten ein 5er BMW (E12).
Warum diese aufwändigen Umbauarbeiten?
Die TV-Produzenten befürchteten Ärger mit echten Herstellern, denn der Atlantis Amalfi sollte in der Serie die Rolle eines echten Montagsautos übernehmen, mit dem seine Besitzer nur Ärger hatten. Bei einem real existierenden Modell hätte der NDR Schadenersatzansprüche wegen Rufschädigung der Hersteller riskiert.
Die Serien-Story: Familienvater Volker Schmitting (gespielt von Gerd Baltus, 1932-2019) sucht ein neues Auto. Ihm gefällt der neue Amalfi, den er als Vorführwagen einmal testen kann und bestellt ihn in „Securitagelb“.
Damit geht der Ärger los – denn es ist ein regelrechtes Montagsauto mit vielen Mängeln. Die Heizung beim Amalfi lässt sich nicht abstellen, der Benzinverbrauch ist exorbitant hoch, die Sitzverstellung klemmt. Im Österreich-Urlaub kocht plötzlich das Kühlwasser bei der Fahrt auf der Hochalpenstraße, der Amalfi muss mit einem Pferdefuhrwerk abgeschleppt werden. Volker Schmitting versucht verzweifelt, aus dem Kaufvertrag wieder herauszukommen…
Das Drehbuch zur Serie stammt übrigens von Robert Stromberger, der in den 1980er Jahren den ZDF-Serienhit „Diese Drombuschs“ (mit Witta Pohl und Günter Strack in den Hauptrollen) erfand.
Nichts als Ärger mit dem Amalfi
Hier fährt er noch flott im Stadtverkehr...
... doch dann ist Volker Schmitting (Gerd Baltus) wieder in der Werkstatt
Im Österreich-Urlaub qualmt es plötzlich aus dem Motorraum
Familienoberhaupt Volker Schmitting (re.) ist wütend über sein „Traumauto“
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Die Wiedergeburt des gelben Klassikers
Dass es heute wieder einen Atlantis Amalfi CS1800 gibt, ist Dipl.-Ing. Ronald Genßler zu verdanken. "Grundsätzlich war mein Antrieb hinter dem Projekt einerseits, dass ich seit 1975 ein großer Fan von „PS – Geschichten ums Auto“ bin. Andererseits bin ich schon lange Oldtimerfan und vermisste den Amalfi in der Szene. Mit der Erfahrung aus zwei Autorestaurierungen traute ich mir auch den Nachbau des Filmautos zu und entschied 2014, das Projekt anzugehen. Ich nahm an, dass der Wagen nicht mehr existierte", erzählt Ronald Genßler dem OCC-Magazin.
Nach Recherchen des bekannten Motor-Journalisten Wolfgang Blaube („Oldtimer-Markt“) wurde das einzig existierende Original-Fahrzeug aus der TV-Produktion 1983 verschrottet.
Um das Projekt Atlantis Amalfi CS 1800 zu realisieren, machte sich Ronald Genßler auf die Suche nach einer passenden Karosserie. 2014 fand er schließlich einen Fiat 132 S in Italien, der als Basis für den Umbau dienen sollte. 2017 begann er mit den umfassenden Arbeiten am Fahrzeug, bei denen zahlreiche Modifikationen durchgeführt wurden. Die Frontpartie erhielt Elemente eines VW Passat, darunter das Blech, der Grill, die Scheinwerfer und die Stoßstange der ersten Generation bis 1974. Grillzierleisten vom NECKAR Adria 850, einem deutschen Fiat-Lizenzbau, wurden hinzugefügt. Zusätzlich entfernte er die unteren Karosseriesicken und brachte dort Schutzleisten von BMW an. Weitere Anpassungen betrafen den Außenspiegel vom VW K70, Rückleuchten und Tankklappe von Mercedes sowie hintere Stoßstange des BMW 02-Modells. Auch der Kofferraumdeckel wurde in seiner Neigung verändert, was das Design des Hecks maßgeblich beeinflusste.
Ronald Genßler beschreibt weitere Einzelheiten des Umbaus: „Die seitlichen vom VW Golf 1 stammenden Zierleisten wurden in der Länge angepasst. Im Innenraum habe ich eine Mittelkonsole des BMW 02 eingebaut und das Holzarmaturenbrett mit schwarzem Kräusellack verändert. Auch das Handschuhfach bekam den typischen Amalfi-Schriftzug und das Lenkrad wurde mit einem Amalfi-Logo verziert. Zusätzlich wurden noch die Kopfstützen in der Form verändert und mit Kunstleder vom VW Käfer bezogen. Etwas aufwendiger war die Verlagerung der Heizungs- und Lüftungsbedienung in den oberen Bereich des Armaturenbretts. Es war mir wichtig, den authentischen Look der TV-Serie so gut wie möglich wiederherzustellen.“
Unter der Haube wurde der Amalfi mit einem 1800er Fiat-Motor ausgestattet, ergänzt durch Teile wie einen Luftfilter aus dem BMW M30-Motor. Auch die Fahrwerkskomponenten erhielten Upgrades: Querstabilisatoren aus dem Fiat 132 GL und dem Argenta 120 wurden eingebaut, um das Kurvenverhalten zu verbessern.
Nach umfangreichen technischen Prüfungen war der Umbau 2020 abgeschlossen, und das Fahrzeug erhielt seine Abnahme vom GTÜ.
2022 feierte der Amalfi sein Debüt auf renommierten Oldtimer-Messen, wie der Techno-Classica und 2023 der Bremen Classic Motorshow. Ronald Genßler konnte damit einen wichtigen Teil der Automobilgeschichte wieder zum Leben erwecken. Das Besondere: Da es keine weiteren Amalfi-Nachbauten oder das Original aus der Fernsehserie mehr gibt, ist dies der einzige Atlantis Amalfi CS 1800 weltweit.
Ronald Genßler am Steuer seines Amalfi-Unikats
Alles in Ordnung: der Amalfi bei der GTÜ
Abgasuntersuchung beim Amalfi CS 1800: die GTÜ-Prüfer Matthias Dymarczyk (i.) und Harald Fort
Prüfung des Motormanagements: Amalfi-Besitzer Ronald Genßler (li.) ist auf die Ergebnisse gespannt
Ausgezeichneter Zustand: Die GTÜ-Prüfer sind von der Substanz und der Kondition des Amalfi CS 1800 begeistert.
Der Amalfi CS 1800 hat eine Betriebserlaubnis von der GTÜ Prüfstelle Fort in Niederkassel bekommen: Prüfer Matthias Dymarczyk, Prüfstellen-Inhaber Harald Fort und Besitzer Ronald Genßler (v.l.nr.)
105 PS, 168 km/h Spitze: die Zulassungsbescheinigung des Atlantis Amalfi CS 1800
Was steht eigentlich in der Zulassungsbescheinigung für das Unikat Atlantis Amalfi, also für ein Auto, das es eigentlich gar nicht gibt? Ronald Genßler, der den Amalfi übrigens bei OCC versichert hat, lüftet hier das Geheimnis. Als Erstzulassung ist der 03.07.1974 eingetragen – damit hat der Amalfi gerade den 50. Geburtstag gefeiert. Hersteller ist Fiat, da der Nachbau ja auf dem Fiat 132 basiert. „Die beiden Fiat-internen Bezeichnungen 132A und 132A1 beziehen sich auf die Motorisierung: A für den 1600er, A1 für den 1800er. Da der Amalfi ja CS 1800 hieß, musste ich natürlich vom ursprünglichen 1600er auf den 1800er umrüsten“, erklärt der Amalfi-Konstrukteur. Wie schnell war der Amalfi? Er erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 168 km/h, der Motor leistete 105 PS.
Für Sammler: "PS - Geschichten ums Auto" auf DVD
Die Orginal-Serie "PS" umfasst 16 Teile in vier Staffeln. Allerdings befassen sich nur die beiden ersten Staffeln hauptsächlich mit dem Montagsauto Atlantis Amalfi CS 1800 der Familie Schmitting. Die anderen beiden Staffeln ("Brodzinski", 1978 gesendet und "Feuerreiter", 1979 im TV) streifen zwar dramaturgisch das Autohaus Neubert aus Staffel 1 und 2, verfolgen aber einen neuen Handlungsstrang mit anderen Protagonisten. Für Fans der Serie gibt es alle Folgen auf DVD (zum Beispiel bei Amazon). Das Original-Buch zur Serie (Robert Stromberger, Walter Stiebeck: PS, Rowohlt, 1978, ISBN: 3499141760) kann man mit viel Glück nur noch antiquarisch erwerben. (dr)
Fotos: Ronald Genßler | GTÜ Gesellschaft für Technische Überwachung mbH | Bruno von Rotz, zwischengas.com | NDR Studio Hamburg
Atlantis Amalfi CS 1800: das Unikat im Filmporträt
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