Was bringt die Blockchain-Technologie für Oldtimer?
Die gute Dokumentation eines Oldtimers kann maßgeblichen Einfluss auf seinen Wert haben. Aber wie halten Besitzer die wertvollen Informationen zusammen und wie können die wichtigen Papiere digital abrufbar gemacht werden? Seit einiger Zeit macht ein junges Unternehmen aus der Schweiz in genau diesem Segment auf sich aufmerksam. The Motor Chain bietet mit seiner Plattform eine Möglichkeit zur sicheren Digitalisierung von Fahrzeughistorien. Dabei setzt das Unternehmen auf Blockchain-Technologie. Stephan Lehnen (Head of Partnerships bei OCC) hat mit Julio Saiz, dem Gründer und Betreiber von The Motor Chain gesprochen. Der Unternehmer aus Zürich im Interview über seine Leidenschaft für klassische Fahrzeuge und warum er sein Geschäftsmodell auf der Digitalisierung dieser Fahrzeuge aufbaut.
Digitale Dokumentation: Nutzen, Kosten, Sicherheit
Stephan Lehnen: Herr Saiz, Sie haben The Motor Chain mit dem Anspruch gegründet, Oldtimer und ihre Historie digital zu bewahren. Welche Funktion übernimmt dabei Ihre Plattform?
Julio Saiz: The Motor Chain wurde von uns entwickelt, um eine vertrauensvolle und ehrliche Dokumentation von historischen Fahrzeugen sicherzustellen. Zunehmend herrscht Unsicherheit bei Käufern und Besitzern hinsichtlich Originalität und Historie bei hochwertigen Oldtimern. Wir setzen genau hier an und bieten mit einer Blockchain basierten Lösung den Weg zu einer digitalisierten Historie, die nachvollziehbar und belegbar ist. Gerade dann, wenn ein Fahrzeug den Besitzer wechselt, ist eine digitale Dokumentation hilfreich. Die Historie soll im Idealfall nicht in Ordnern, sondern per Klick weitergegeben werden. Und zwar vollständig, reproduzierbar und sicher.
Ich bin selbst passionierter Besitzer eines Oldtimers und habe mir immer gewünscht, dass ich alle relevanten Informationen zu meinem Auto schnell verfügbar und abrufbar habe. So ist die Idee entstanden, The Motor Chain ins Leben zu rufen. Heute kann ich alle wichtigen Daten auf dem Handy mit mir führen und bei Bedarf anderen Menschen zur Verfügung stellen. Verändert sich die Historie, so kann mit mobilen Endgeräten direkt ein Beleg oder ein Bild hinzugefügt werden und ich spare mir den Aufwand mit der Papierablage.
SL: Erläutern Sie unseren Lesern doch einmal, wie die Historie eines Fahrzeugs bei The Motor Chain angelegt werden kann.
JS: Um ein digitales Abbild des realen Fahrzeugs in The Motor Chain zu erstellen, kann der Nutzer alle seine verfügbaren Informationen sowohl zu Hause am Computer als auch unterwegs mit dem Handy via App erfassen. Alle denkbaren Dokumente lassen sich scannen und digitalisieren. Bilder, die die Historie des Fahrzeugs dokumentieren, können in einer Bildergalerie abgelegt werden. Sämtliche Ereignisse wie Reparaturen, Teilnahmen an Events, Unterhaltsarbeiten oder Expertisen über das Fahrzeug sind schnell über die App oder am PC erfasst. Mit diesen Zeitdokumenten entsteht nach und nach die Geschichte des Fahrzeugs als digitales Abbild.
Dabei müssen es nicht unbedingt die großen Dinge am Fahrzeug sein, die man erfasst. Auch Alltägliches wie eine kleine Ausfahrt oder selbst durchgeführte Arbeiten können in The Motor Chain nachvollziehbar und vollständig erfasst werden. Hier reichen bereits das Datum und ein Bild, um seine Arbeit festzuhalten.
SL: Der Aufwand zur erstmaligen Anlage eines Fahrzeugs scheint nicht unerheblich.
JS: Ja, tatsächlich ist es am Anfang mit Aufwand verbunden, die erste Fahrzeugdokumentation zu erstellen. Für die Nutzung von The Motor Chain müssen Belege und Bilder digital abgelegt werden. Und wenn man das Fahrzeug schon längere Zeit im Besitz hat und viele Dokumente in Aktenordnern schlummern, dann bedeutet dies Arbeit und Zeit, die ich investieren muss. Daher bieten wir genau hier einen Service an und unterstützen bei der umfangreichen Ersterfassung. Gegen eine Pauschale nehmen wir dem Nutzer diesen Aufwand ab. Wir wollen unseren Nutzern das Erlebnis mit The Motor Chain so zugänglich und einfach wie möglich machen. Nach der ersten Erfassung steht das digitale Abbild Ihres Fahrzeugs vollständig zur Verfügung. Je gewissenhafter und umfassender diese erste Erfassung durchgeführt wird, umso effizienter lassen sich die gespeicherten Daten nachher einsetzen.
Letztlich ist die Erfassung aber kein Hexenwerk. Dokumente können mit unserer App auch mittels Handyfoto schnell erfasst und hochgeladen werden. Durch die benutzerfreundliche Oberfläche werden die einzelnen Schritte sehr schnell zur Routine. Darüber hinaus kann auch ein Servicebetrieb gebeten werden, seine Arbeit in The Motor Chain zu erfassen. Mittels Zugriffsberechtigung fügt der Betrieb Fotos und Rechnungen hinzu und dokumentiert damit seine durchgeführten Arbeiten. Somit entsteht auch für einen Oldtimer eine Art digitales Wartungsheft.
SL: Welchen Mehrwert haben Nutzer Ihrer Plattform, wenn die Fahrzeughistorie einmal angelegt ist?
JS: Zuerst einmal liegt der wesentliche Nutzen in der Digitalisierung. Alle verfügbaren Daten werden abrufbar und reproduzierbar gemacht. Die Fahrzeughistorie ist so gegen jeglichen Untergang geschützt. Einem Verlust von Dokumenten oder Bildern kann vorgebeugt werden. Je genauer und umfassender die Historie in digitaler Form vorliegt, umso größer sind die Einsatzmöglichkeiten der abgelegten Daten. Mit allen Einträgen halte ich zudem für mich selbst jegliche Erinnerung zum Fahrzeug fest.
Der besondere Mehrwert für Nutzer von The Motor Chain liegt in der Übertragbarkeit der digitalen Fahrzeughistorie. Service- und Werkstattbetriebe erhalten Zugriff auf wichtige Informationen zum Fahrzeug und können die Arbeiten fachgerecht und auf das Fahrzeug zugeschnitten durchführen. Die Werkstätten und Servicebetriebe können im Auftrag des Besitzers ebenfalls Dokumentationen in der Historie vornehmen. Dank Blockchain bleiben die Einträge nachvollziehbar und sind eindeutig dem Urheber zuzuordnen. Je mehr vertrauenswürdige Personen an der Dokumentation des Fahrzeugs mitwirken, umso höher ist das Vertrauen in das gesamte Fahrzeug.
Beim Kauf und Verkauf ergibt sich ein ganz besonderer Mehrwert für alle Beteiligten. Die digitale Fahrzeughistorie kann wie ein Verkaufsexposee genutzt werden. Alle wichtigen Infos zum Fahrzeug sind auch auf Distanz abrufbar. Das schafft Vertrauen. Je mehr Informationen für einen Käufer zu einem Fahrzeug zur Verfügung stehen, umso mehr gewinnt das Fahrzeug für ihn an Relevanz und Wert. Insbesondere für Sammler sind umfassende Historien und gute Dokumentationen ein Kaufargument, da sich das Fahrzeug gegenüber schlecht oder wenig dokumentierten Fahrzeugen abhebt.
Viele Liebhaber von klassischen Fahrzeugen greifen gerne auf Archive zurück, um sich Hintergrundinformationen zu beschaffen. Mit The Motor Chain liefern Autobesitzer dieses Archiv in digitaler Form gleich mit und halten es auf Mobilgeräten für jeden Interessenten ad hoc verfügbar.
SL: Mit welchen Kosten ist die Nutzung von The Motor Chain verbunden?
JS: Das Jahresabonnement für ein Fahrzeug kostet 50 Euro. Darin ist die unbegrenzte Dokumentation des Fahrzeugs inklusive aller Funktionen zum Teilen der Daten enthalten. Besteht der Wunsch, dass The Motor Chain die Ersterfassung des Fahrzeugs vornimmt, so wird gegen eine Pauschale von 250 Euro das professionelle Scannen und die Registrierung des Fahrzeugs inklusive Dokumentation von uns vorgenommen. Dokumentationen, die externe Dienstleister oder Werkstätten Ihrer Fahrzeughistorie hinzufügen sind kostenfrei.
Einen besonderen Service bieten wir für Leute an, die noch nähere Informationen oder eine Beratung zu The Motor Chain benötigen. Interessenten können bei uns ein 30-minütiges, kostenfreies Beratungsgespräch online buchen.
SL: Wer kann meine Fahrzeugdaten sehen oder nutzen?
JS: Über alle von mir erfassten Informationen und über die Fahrzeugdokumentation behalte ich die Kontrolle. Der Nutzer allein bestimmt, wer Einsicht und Zugriff auf die Fahrzeughistorie erhält. Dazu ist es erforderlich, dass ich diesen Zugriff explizit meinen Vertrauenspersonen einräume. Dies erspart bei vielen Vorgängen Zeit und Aufwand. Die Daten Ihres Fahrzeugs können Sie auf diesem Weg z.B. Ihrer Werkstatt, einem Gutachter oder vielleicht auch Ihrer Versicherung zugänglich machen. Am Ende bestimmt also einzig der Nutzer, welche Informationen einsehbar sind und wer Zugriff nehmen darf. Der Zugriff für einen Dritten kann selbstverständlich auch nach einer gewissen Zeit wieder entzogen werden, z.B. nach Abschluss einer Reparatur oder nach Fertigstellung eines Gutachtens.
SL: Digitale Lösungen sind in unserer Gesellschaft zunehmend akzeptiert, wenn die Sicherheit der Daten gewährleistet ist. Wie geht The Motor Chain mit diesem Aspekt um?
JS: Heute speichern wir schon enorme Datenmengen an Bildern und Dateien extern in Clouds. Das ist inzwischen bei vielen Nutzern gang und gäbe. Bei The Motor Chain ist es essenziell wichtig, dass abgelegte Daten vor Manipulation geschützt sind. Daher setzen wir Blockchain-Technologie ein, die auch für so sensible Vorgänge, wie z.B. Finanzgeschäfte verwendet wird. Das betreffende Fahrzeug wird nur ein einziges Mal in The Motor Chain digital abgebildet und mit einer einzigartigen Identität versehen. So sind Mehrfachabbildungen ausgeschlossen und das einmal digital identifizierte Fahrzeug kann nicht mehr manipuliert oder dupliziert werden.
Die höchste Sicherheit der Daten wird gewährleistet durch die
Zugriffsberechtigungen, die der Nutzer erteilt. Somit bleibt er stets
Herr über seine Daten und weist selbst an, wem er seine
Fahrzeuginformationen anvertraut. Dieser Aspekt ist bei The Motor Chain
oberstes Gebot, wenn ein Nutzer sein Fahrzeug in die digitale Welt
stellt.
SL: Wie funktioniert die Blockchain-Technologie?
JS: Der
Nutzer generiert in The Motor Chain einen „digitalen Zwilling“ seines
Fahrzeugs im NFT Format. The Motor Chain nutzt hierfür das
Ethereum-System von Hyperledger. Diese Blockchain ist nicht für
Jedermann zugänglich, sondern erfordert ein validiertes Profil für den
Zugang. Durch diesen reglementierten Zugang werden alle Transaktionen
deutlich sicherer. Jeder Nutzer hat ein Profil mit einer eindeutigen
Signatur, die jeglicher Dokumentation am Fahrzeug hinzugefügt wird, um
zweifelsfrei und unwiederbringlich den Ursprung, bzw. den Urheber der
Eingaben zuzuordnen. Beim Weiterverkauf eines Fahrzeugs kann der in der
Blockchain generierte Token mit übertragen werden.
SL: Wo sehen Sie weitere Einsatzmöglichkeiten Ihrer Lösung in der Zukunft?
JS: Der große Mehrwert von The Motor Chain liegt in der Möglichkeit zur sicheren Weitergabe von Fahrzeugdaten. Darin liegt eine große Chance. Die Blockchain-Technologie ermöglicht es uns, auch sensible Daten manipulationssicher zu verarbeiten. Es wird darauf ankommen, dass möglichst viele Dienstleister und Serviceanbieter The Motor Chain bedienen. So könnten in Zukunft mit den vorhandenen Daten eines Fahrzeugbesitzers vielleicht auch Amtsgeschäfte, wie die Zulassung des Fahrzeugs gesteuert werden oder eine Versicherung policiert ein Fahrzeug auf Basis der hinterlegten Daten. Auch für Finanzierer und Investoren ist unsere Lösung geeignet, um alle Assets im Überblick zu behalten, wenn die Daten aktuell und vollständig sind.
Nicht zuletzt kann der Handel enorm von einem sicheren Datenaustausch profitieren. Gut dokumentierte Fahrzeuge schaffen Vertrauen beim Kauf und beim Verkauf für alle Beteiligten. Interessenten können sich im Vorfeld weitreichende Informationen zum Fahrzeug beschaffen und wenn Hinweise von Experten und Gutachten vorhanden sind, sorgt dies für zusätzliche Gewissheit hinsichtlich des Zustandes eines Autos. Dies ist ein Zugewinn an Sicherheit und Vertrauen bei allen Beteiligten.
SL: Herzlichen Dank für dieses Interview.
Mehr Infos über The Motor Chain unter: https://themotorchain.com/de/
Fotos: Canva | The Motor Chain Ltd
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