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Sie sorgte für Ehekrach: Dietmar und seine Meyra

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Wer etwas Besonderes besitzt, darf sich schon mal freuen. Bei Dietmar Pauw dürfte die gute Laune inzwischen Dauerzustand sein. Vergnügt sitzt der Rentner aus Winsen (Luhe) in seinem grünen Vehikel mit drei Rädern, das stark an ein Trickfilm-Auto des Sandmännchens erinnert.
Genug geschmunzelt, jetzt wird es ernst: Es ist vermutlich der einzige Meyra Motorwagen 56 (200 ccm, 10 PS, 70 km/h Spitze) in Deutschland.
Und ganz sicher der einzige Meyra 56, der mit Zulassung noch fährt. Hier erzählt Eigentümer Dietmar Pauw die wunderbare Geschichte von Finderglück, Ehekrach und Besitzerstolz.

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So sah die Meyra aus, als sie an der Nordsee in der Nähe eines Deiches entdeckt wurde.

Fundort: Nordsee-Deich

November 1997: Dietmar Pauws Bruder, der in Ostfriesland lebt, entdeckte das seltsame Gefährt in der Nähe eines Deichs. Es muss mindestens zehn Jahre, vielleicht auch länger, in der salzigen Nordseeluft gestanden haben – und so sah es wohl auch aus: ein Haufen Schrott. „Als es gerade entsorgt werden sollte, griff mein Bruder ein und entschied sich spontan, das Dreirad zu kaufen. 300 DM bezahlte er dafür“, erzählt Dietmar Pauw.

Am Vorderbau der Karosse befanden sich noch zwei Embleme mit der Aufschrift "Krankenfahrzeugfabrik Meyra, Wilhelm Meyer, Vlotho". In der offenen Tür war ein Typenschild angebracht, auf dem Hersteller, Fahrgestellnummer und das Baujahr 1957 noch erkennbar waren. Das Fahrzeug wurde in der elterlichen Garage abgestellt, sehr zum Missfallen seiner Mutter, die alles Unförmige als störend empfand, einschließlich der Meyra.

Wertvolle Tipps vom Hersteller

Bevor mit dem Wiederaufbau begonnen wurde, nahm Dietmar Pauw Kontakt mit dem Hersteller auf, fand aber heraus, dass es fast keine Teile mehr gab. Ein Gespräch mit dem Monteur, der die Meyra gebaut hatte, ergab, dass insgesamt 43 Motorwagen dieses Typs hergestellt wurden, von denen nicht alle verkauft wurden.

Aus dem Archiv erhielt er einige Kopien über das Fahrzeug, das sich als Meyra Motorwagen 56 mit einem Ilo Motor M 200 V3R herausstellte, ausgestattet mit drei Vorwärts- und einem Rückwärtsgang. Weitere Informationen waren schwer zu finden, aber er war fest entschlossen, das Fahrzeug wieder zum Leben zu erwecken.

Ehefrau leicht eifersüchtig

Heißt es nun der Meyra oder die Meyra? „Ich habe das Gefährt als weiblich identifiziert, deswegen ist es für mich die Meyra“, lacht Dietmar Pauw. Ab dem 1. Dezember 2005 begann er mit der Restaurierung, indem er alle Teile nach Winsen transportierte. Beim örtlichen TÜV fand er einen kompetenten Ansprechpartner, der ihm bei der Beschaffung von Daten und Informationen helfen wollte. Dieses Versprechen hielt er, und sie blieben im folgenden Jahr in engem Kontakt. Fast 1000 Stunden verbrachte Dietmar Pauw damit, die Meyra zu zerlegen, Teile zu beschaffen und vieles selbst anzufertigen.

Darunter litt ein wenig die Ehe, vor allem, wenn seine Frau ihn zum Essen erwartete, er aber durch Motorentests in der Werkstatt festhing. Ergebnis: kalte Kartoffeln und Diskussionen.

Dietmar Pauw besuchte sämtliche Oldtimerbörsen im Umkreis von 200 Kilometern und nutzte intensiv das Internet, um Teile zu kaufen und teilweise umzuarbeiten. Verschiedene Firmen halfen ihm, unter anderem bei der kompletten Erneuerung des Tachos, des Reflektors und aller Bremsen.

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Lieferung in Einzelteilen: Das Projekt Wiederaufbau und Restaurierung der Meyra nahm ein Jahr in Anspruch.

Nachbarn von Motorentest genervt

Mitte Juli 2006 begann er mit der Montage zum Neuaufbau, nachdem die Karosse lackiert worden war. Dietmar Pauw: „Täglich konnte man den Fortschritt sehen, das war eine große Freude. Selbst im Urlaub musste ich ständig an die Meyra denken. Unsere Nachbarn mussten einiges ertragen, wie Motorenprobelauf ohne Schalldämpfer, spätabendliches Flexen und Musik aus dem Radio. Als ich sie zum Tee einlud, gab es schnell eine Absage...“ Trotzdem ließ er sich nicht beirren und machte weiter. Anfang Oktober 2006 war die Meyra schließlich fertiggestellt. Das Fahrzeug, ursprünglich für Menschen mit Beinbehinderungen konstruiert, erforderte eine komplette Steuerung vom Lenker aus, was anfangs gewöhnungsbedürftig war. Bei den ersten Fahrlernversuchen in seiner Sackgasse wurden die Nachbarn erneut vom Motorlärm und dem Nebel des Zweitakters belästigt, doch plötzlich beschwerte sich niemand mehr. Die Meyra gehört jetzt wohl dazu...

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Das langsamste Rennen der Welt auf dem Hockenheimring: Die Meyra trat gegen einen Porsche Traktor und ein Mofa an. Dietmar Pauw hat die Pelzmütze auf, die inzwischen zu seinem Markenzeichen geworden ist.

TÜV gab grünes Licht

Nachdem Dietmar Pauw die Unterlagen vom Kraftfahrtbundesamt erhalten hatte, fuhr er am 18.10.2006 zum TÜV zur Neuabnahme. Der Sachverständige, ein Diplom-Ingenieur, hatte das Fahrzeug noch nie zuvor gesehen. Beide hatten während der zweistündigen Abnahme viel Spaß und Unterhaltung, und es gab keine Mängel. Für Dietmar Pauw stand nun amtlich fest, dass die Meyra wieder lebendig war. Am nächsten Tag ging er gleich morgens zur Zulassungsstelle, befestigte das Kennzeichen mit Draht und fuhr los. Bei sonnigem Wetter im goldenen Oktober erlebte er plötzlich die Begeisterung über das skurrile Gefährt: LKW-Fahrer hupten, wildfremde Leute am Straßenrand winkten und schossen Fotos mit dem Handy.

Star auf den Harley Days

Über die Wintermonate parkte er das Fahrzeug in einem Schaufenster, wo es warm und trocken stand. Ausstellungsgebühr: Kuchen mit Schlagsahne. Der Wiederaufbau des Fahrzeugs brachte ihm und seiner Frau viele neue Freundschaften. Ab April 2007 ging es wieder auf Tour. Er beobachtete, wie die Leute staunten, dass er rückwärts aus der Parklücke fahren konnte. Höhepunkt war seine Teilnahme an den Harley Days in Hamburg: „Vor dem Michel vergaßen die Menschen die chromblitzenden Harleys, alle schauten nur auf meine Meyra. Das muss man einfach erlebt haben“, schwärmt Dietmar Pauw. Oder das Event auf dem Hockenheim: „Das langsamste Rennen der Welt!“ Porsche Trecker, Mofo Velosolex und die Meyra traten auf der Rennstrecke gegeneinander an.

Inzwischen scheint klar, dass dieser Meyra Motorwagen 56 wohl das letzte Fahrzeug ist, das Rost oder die Verschrottung überlebt hat. Dietmar Pauw hofft auf weitere Meyra-Fans: „Ich suche noch dringend Teile, Prospekte von damals und Infos über diese Fahrzeuge. Vielleicht kann jemand weiterhelfen. Was fehlt, ist ein guter Ersatzmotor. Aber leider liegen diese Teile nicht an jeder Hausecke…“ (dr)

Fotos: Dietmar Pauw

Technische Daten: Meyra Motorwagen 56

Laut Herstellerangaben sollen nur 43 Fahrzeuge diesen Typs gebaut worden sein. Nicht alle sind in den Verkauf gekommen. Es soll noch einen weiteren Motorwagen geben (allerdings mit Sachs-Motor und ohne Rückwärtsgang).

Baujahr: 1956

Erstzulassung: 1957

Fahrgestell-Nummer: 5437

Leergewicht: 270 kg

Zul. Gesamtgew.: 420 kg

Hubraum: 197 ccm

Motor: Ilo (Hersteller), 10 Ps, 70 km/h

Typ: M 200 V 3 R (M200: Motor mit 200ccm; V: Ventilator-Kühlung; 3: 3 Vorwärtsgänge; R: Rückwärtsgang)

Leistung:
10 PS

Höchstgeschwindigkeit:
70 km/h

Neupreis
: um 3.000 D-Mark

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