Jaguars Neuerfindung: Sprung nach vorn oder in den Abgrund?
Von RAIMUND JEBENS (Head of Marketing bei OCC Assekuradeur)
Die britische Legende. Jaguar, einst Synonym für Eleganz und motorisierte Poesie, hat sich ein neues Logo und eine frische Identität verpasst. Und die erste Resonanz ist verheerend. Doch eine Markenüberarbeitung ist immer ein Wagnis und die Kritik bleibt nie aus. „Exuberant Modernism“ lautet der beladene Slogan dieser neuen Jaguar-Ära. Übersetzt „überschwänglicher Modernismus“.
Ein Begriff, der nach einer Werbeagentur klingt, die nach der dritten Runde Gin Tonic beschlossen hat, das Wort „Exuberant“ sei sexy.
Spoiler: Es ist nicht sexy.
Als Autos einfach noch Autos waren: ein wunderschöner 1978er Jaguar XJ12, Series 2, 5.3 Liter Coupé XRW
Die neue Marke: Eine Raubkatze schreit nach Plüsch
Der Werbeteaser, mit dem Jaguar das Rebranding der Öffentlichkeit präsentiert, zeigt viel Buntes, und wirklich gar kein Auto. Revolutionär? Vielleicht – aber man wird den Eindruck nicht los, dass die Mischung aus „High Fashion“ und „Zoolander“ tatsächlich gar keine Schnittmenge mit der Zielgruppe Jaguars hat. Zwischen Barbour-Jacke und Landpartie und diesem schrillen Auftritt hätte es womöglich Raum für einen Mittelweg gegeben. Ganz ehrlich: Wer Jaguar bestellt, erwartet keine postmoderne Addams Family (wie im nachfolgenden Video):
Der Jaguar-Werbeteaser: Radikal distinktionslos
Hohn und Spott: Das internationale Echo ist verheerend. Sogar Elon Musk schaltet sich ein und fragt hämisch: „Verkauft ihr Autos?“
Was ist mit der Katze passiert?
Kommen wir zum Logo: Hier finden wir immerhin einen Jaguar. Doch die ikonische „Growler“-Raubkatze – diese bedrohlich lächelnde Präsenz, die einen Jaguar unverwechselbar machte – ist passé. Stattdessen springt nun eine minimalistisch stilisierte Katze durch die flache Designsphäre von 16 Linien, die wohl irgendeine futuristische Bedeutung haben sollen. Vielleicht ein Morsecode, der „reist mit uns in die Zukunft, (bitte)“ sagt?
Und was erwartet uns auf dem Heck? Jaguar ist jetzt JaGUar!
Eine Mischung aus Groß- und Kleinbuchstaben. Geradlinig geschliffen und dennoch aalglatt weich und rund. Auch hier versucht Jaguar, viel auf einmal zu sein, und dabei fast neurotisch die bisherige Markenidentität nicht zu touchieren. Modern? Klar. (Wow) Zeitlos? Wohl kaum.
Es wirkt wie ein verzweifelter Versuch, sich in den vermeintlich aktuellen Flat-Design-Trend zu zwängen, was schon wirklich lange nicht mehr modern ist. Gleichzeitig heißt es zentral: „Copy Nothing.“ Doch das ganze Konzept wirkt wie aufgebrüht, da hilft auch noch so knallige Kosmetik nicht.
Die neuen Jaguar-Stilelemente im Überblick
Der Raubkatze wurden die Zähne gezogen.
Das runde Logo erinnert ein wenig an Krückstöcke.
Geradlinig geschliffen und dennoch aalglatt: Jaguar versucht fast neurotisch, die bisherige Markenidentität nicht zu touchieren. Modern? Klar. Zeitlos? Wohl kaum.
Groß- und Kleinbuchstaben durcheinander gemixt
Copy nothing - stimmt das wirklich?
Der selbstbewusste Tweet von Jaguar auf X (vormals Twitter)
Wirklich nichts kopiert? Parallelen zu anderen Marken sind auffällig.
Weder Maß noch Mitte
"Exuberant Modernism" - ein alter Wein in neuen Schläuchen?
Jaguar spricht von „überschwänglichem Modernismus“. Ich nenne es beim Namen, „Bland Design“ (Fades Design). Wo in der Vision die „Mitte“ fehlt, fehlt hier das „Maß“. Denn es ist handwerklich dünn und nicht auf die Marke zugeschnitten. Die britische Aristokratie pflegte Maßanzüge von der Dienerschaft einzutragen, damit sie etwas ausbeulen, somit nicht zu perfekt sind. Der Ansatz von Jaguar versucht, alles perfekt zu machen, wirkt dabei aber wie von der Stange. Denn das Problem mit diesem „Bland Design-Stil“ – egal wie bunt man ihn pudert – ist nicht nur Geschmackssache. Es ist einerseits, dass im Streben nach Simplizität oft das verloren wird, was Marken besonders macht: Charakter. Erinnern wir uns an die Worte von Dieter Rams: „Weniger, aber besser.“ Jaguar scheint hingegen zu denken: „Weniger, aber wenigstens Instagram-tauglich.“
Und noch schlimmer: Der Bland Design-„Trend“ ist längst vorbei und die Augen der Betrachter sind übersättigt von serifenlosen, austauschbaren Lettern. Jaguar will brachial, radikal, progressiv – und schafft es, in aller Diversität knallend konventionell zu sein.
Warum das Design nicht funktioniert:
Der vielleicht vielseitigste Designer des 20. Jahrhunderts, Raymond Loewe (Designer der Studebaker Modelle, des Greyhound Bus, der Dampflok S1, Lucky Strike und die Fensterluke im Space Shuttle) stellte das „M.A.Y.A.“-Prinzip als These auf. Sie steht für „Most Advances, Yet Acceptable.“ (sinngemäß: Gehe so weit wie möglich, aber achte darauf, dass es noch akzeptabel ist.) Er meint damit: Evolution im Design darf die Menschen nicht überfordern und abschrecken. Menschen sind seit der Urzeit gewohnt: Dinge, die ich kenne, sind gut – denn was man schon kennt, hat man überlebt. Bekannte Pflanzen und Tiere im Wald sind also immerhin nicht gefährlich, der Fluchtreflex bleibt aus. Ob Jaguar-Kunden diesem Reflex widerstehen können? Oder wollen sie lieber zurück in den Dschungel und den alten Jaguar suchen?
"Domestiziert. Nicht entkrallt" - ist nicht gut gealtert.
Alte Jaguar-Werbung: Wir sehen noch richtige Autos.
"Nobody's Pussycat" - die Jaguar-Werbung vor einem halben Jahrhundert.
Nur brüllen reicht nicht
Jaguar springt mit seinem Rebranding sehr weit in eine vermeintliche Zukunft – jedenfalls in etwas Neues. Und zwar so, dass vom Bisherigen nichts mehr zu sehen ist. Nun kann einem das Neue gefallen oder nicht. Aus Designperspektive muss ich aber festhalten: Es ist progressiv, ohne originell zu sein und gibt vor, modern zu sein, indem es einen Designstil inkorporiert, der seit Jahren überstrapaziert ist. Goethe würde sagen „Getretener Quark wird breit, nicht stark.“ Für eine glaubwürdige Transformation fehlt Jaguar im neuen Gewand die Distinktion und Selbstreflexion. Die Marke will Zukunft brüllen, herauskommt eben ein „JaGUar“
Die Elektro-Strategie: Vision oder Identitätskrise?
Ich bin nicht gerne Kulturpessimist, aber es passt ins Bild. Seit der Übernahme von Jaguar-Land Rover (JLR) durch Tata Motors im Jahr 2008 hat sich viel getan. Gerade zuletzt scheint es aber, als müsse Jaguar aufpassen. Der radikale Strategiewechsel auf reine Elektrofahrzeuge im hochpreisigen- bzw. Luxussegment stellt sich als gewagt heraus. Der Investitionsbedarf ist hoch, die Verkäufe schwächeln. Die Modelle E-Pace und I-Pace sind ein Flop. Dann der wahnwitzig klingende Schritt: Herstellungsstopp bis 2026, weil man die alten Modelle nicht verkauft bekommt und die Produktion umbauen will. Hat ein Autohersteller so etwas schon mal gemacht? Und falls, ja – überlebt?
Der Sprung in die Schwebe
Jaguar versucht sich neu zu erfinden, mit dem Rücken zur Wand. Respekt dafür. Aber in einer Welt, in der jede Marke mit denselben Mitteln „modern“ sein will, bleibt die Herausforderung: Wie funktioniert da Persönlichkeit? Dem neuen Design fehlt die Seele der Raubkatze, die alle Menschen kennen und bestimmte Menschen lieben und kaufen. Und genau das ist das Problem. Jaguar war nie eine Marke für die Masse. Es war eine Marke für die, die sie verstanden und sich damit identifizierten. Für die, die Stil über Trends stellten. Und jetzt? Jetzt schaut Jaguar in den Spiegel und sieht... alle anderen.
Für wen ist ein jahrealter I-Pace von der Resterampe noch ein Objekt der Begierde?
Und grundsätzlich bleibt die Quo Vadis-Frage im Raum: Kann Jaguar wirklich ohne den Klang seiner V8-Motoren und ohne das Gefühl von Tradition überleben? Jaguar versucht uns zu sagen, dass das möglich ist. Auf Twitter antworten sie empörten Nutzern "Soon you will see things our way!" (Bald wirst du die Dinge so sehen wie wir!) Aber wenn ich mir das neue Branding anschaue, habe ich meine Zweifel. Jaguar will Tesla werden. Jaguar war James Bond. Zur Ehrenrettung Jaguars darf aber auch gefragt werden: Ist James Bond noch James Bond?
Fotos: Jaguar Land Rover Deutschland GmbH | Jaguar Daimler Heritage Trust | OCC Assekuradeur
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