Falscher Zahnarzt bietet
falschen Mercedes an
Auch ein Mercedesfahrer hat noch Autoträume. Winfried Budde ist leidenschaftlicher 280 SL-Fahrer (Baureihe R 107). Trotzdem liebäugelte er immer auch mit einem 190 SL. Vor kurzem schien dieser Wunsch wahr zu werden. Seine Frau machte ihn auf eine Zeitungsannonce aufmerksam: „Sehr gepflegter Oldie Mercedes Benz 190 SL, EZ 04/1960, sehr schöner Zustand… VB 57.000 Euro.“ Die Anzeige schloss mit der Aufforderung, sich bei einer deutschen Mailadresse auf den Namen eines „Herrn Konopka“ zu melden. Doch das sollte man lieber nicht machen…
Winfried Budde tat es trotzdem, er war neugierig. „Ich war mir natürlich gleich darüber im Klaren, dass das ein Betrugsversuch sein könnte“, erzählt der 61-Jährige Verwaltungsbeamte aus Hagen dem OCC-Online-Magazin. Schließlich kostet ein 190 SL in Zustand 2 mindestens 125.000 Euro (Quelle: Classic Data).
Auto wegen Scheidung verkauft
So schrieb Budde an die Mailadresse in der Annonce folgende Zeilen: „Sehr geehrter Herr Konopka, wann und wo könnte man sich das gute Stück denn mal ansehen? Können Sie Fotos schicken?“ Merkwürdig: Eine Stunde später bekommt Winfried Budde Post – diesmal von einem Dr. Ranu Arkani Kasinki. Der soll angeblich als Zahnarzt in Deutschland gearbeitet haben. In holprigem Deutsch preist „Dr. Kasinki“ den Mercedes erneut an: „…das Fahrzeug ist in perfekter Zustand, keine Probleme, nicht mal einem Kratzen…“
Als Winfried Budde darauf drängt, Fotos vom 190 SL zu sehen, schickt der angebliche Dentist aus Finnland gleich 19 Fotos (siehe Galerie unten). Budde sieht einen makellosen, wunderschönen Mercedes in original Daimler-Benz-Farbe Azur 334, Sitze in cremefarbenem Leder, original Becker-Radio. Da Fahrzeug scheint in einem makellosen Zustand.
Der angebliche Verkäufer erzählt seine Geschichte (Fehler im Original): „Ich habe in Deutschland gearbeitet (als Zahnarzt) und ich war auch in Deutschland 16 Jahre geheiratet, in dieser Zeit habe ich das Fahrzeug gekauft. Ich bin von Sevettijärvi, Finnland und nach meine Scheidung arbeitet Ich jetzt wieder in Finnland und Das Fahrzeug habe ich mitgenommen. Weil ich keine Steuern zahlen möchte, denn ich nutze das Fahrzeug ja nicht mehr, habe ich beschlossen, es zu verkaufen. Außerdem nach meine Scheidung bringt mir das Fahrzeug nur Schmerzhafte Erinnerungen also das Fahrzeug muss weg.“
Sätze, die Winfried Budde plötzlich Zahnschmerzen verursachen. Er wird immer misstrauischer.
A-V Trans Oy International soll Kauf abwickeln
Nachdem Budde sich bei „Dr. Kasinki“ erkundigt, wie denn der Kauf ablaufen könne, wird der plötzlich sehr konkret. Es gäbe eine Treuhandfirma namens A-V Trans Oy International („sehr berühmt und nur positive Bewertungen“), die alles für den deutschen Kunden abwickeln könne. Barzahlung sei leider nicht möglich, man solle das Geld an A-V Trans Oy zahlen, bis der Käufer das Fahrzeug in Empfang genommen, gefahren und angemeldet habe.“Dr. Kasinki“ macht Druck, es gäbe noch weitere Interessenten. Um den potentiellen deutschen Interessenten ruhig zu stellen, schickt er Familienbilder, die Urlaubsfotos eines Ehepaares mit zwei erwachsenen Kindern zeigt.
Kinderfotos und ein Zulassungsbescheid
Dazu die Kopie einer Zulassungsbescheinigung II, die auf „Kasinki“ ausgestellt ist, allerdings mit unlesbarem Datum. Winfried Budde kann über das Kennzeichen des 190 SL den ehemaligen Halter ausfindig machen, der tatsächlich echter Zahnarzt ist. Er hatte den Wagen damals verkauft und Interessenten die Kopie des Zulassungsbescheides und diverse Fotos zur Verfügung gestellt. Offenbar hatten Betrüger das ausgenutzt und gingen mit dem Wagen, der eigentlich nicht zu verkaufen war und somit nicht existierte, auf Dummenfang. Winfried Budde schreibt noch eine Mail an den falschen Zahnarzt in Finnland, von dem dann keine Antwort mehr kam. Er hatte wohl Lunte gerochen…
Gemietete Mail-Server und skrupellose Provider
Aber wie gehen die Betrüger vor? Die notwendige Infrastruktur für die geplante Abzocke ist schnell installiert. Gemietete Mail-Server bei dubiosen Anbietern in Staaten, auf die die deutsche Justiz so schnell keinen Zugriff hat, gefälschte Firmen-Webseiten, die schnell wieder abgeschaltet werden können, Prepaid-Handys – so einfach können heute Ganoven ein seriöses Geschäft vorgaukeln.
Konnte man die Betrüger mit dem Mercedes 190 SL wenigstens dingfest machen?
Winfried Budde: „Es hat eine Vielzahl von polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegeben. Leider sind alle ohne Ergebnis geblieben, weil die mutmaßlichen Betrüger ihre Spuren im Internet verwischen konnten.“
So bleibt nur das Fazit: Nie auf solchen Schnäppchen-Anzeigen reinfallen! Wird ein gut erhaltener, gesuchter Oldtimer plötzlich für weniger als die Hälfte des eigentlichen Marktpreises angeboten, sollten alle Alarmglocken schrillen.
Der Artikel entstand mit freundlicher Unterstützung des 107 Klassik-Magazins, der Clubzeitschrift des Mercedes-Benz R/C 107 SL-Clubs Deutschland e.V. und Winfried Budde.
Fotos: privat
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