In Sachsen entdeckt:
Steht hier das älteste Auto Deutschlands?
Ein Fund, der Schlagzeilen macht. Oldtimerfreunde aus Thüringen haben in Leipzig von einer hochbetagten Dame ein Motor-Dreirad erworben. Es stand jahrzehntelang in einer Garage. Das antik anmutende Gefährt könnte vielleicht das bisher älteste Motorfahrzeug Deutschlands sein. Jetzt ist es ein Fall für die Historiker.
Hubert W. Rein ist derzeit ein vielgefragter Mann. TV-Sender wollen bei ihm drehen, Zeitungen bitten um Interviews. Der pensionierte Beamte und Vorsitzende des Ost Klassiker Klub e.V. Wolfkramshausen in Thüringen hat mit Vereinsfreunden den Fund in Leipzig gemacht, über den die Oldtimerszene spricht und über den sich nun die Wissenschaft den Kopf zerbricht.
Wer war der Vorbesitzer des Fahrzeugs?
„Über die Historie wurde uns beim Kauf von der 86-jährigen Verkäuferin und im Beisein ihres Sohnes erklärt, dass der verstorbene Ehemann der alten Dame das Dreirad Anfang 1950 von einem Freund gekauft hat. Das Fahrzeug wurde nach dem damaligen Kauf auf einer Oldtimerveranstaltung des ADMV der ehemaligen DDR in Leipzig präsentiert. Davon zeugt eine am Fahrzeug befindliche Startnummer“, erzählt Hubert W. Rein dem OCC-Magazin.
Was ist bisher über das Dreirad bekannt? Aus welchen Materialien wurde es gebaut?
Hubert W. Rein: „Es handelt sich um ein Motor-Dreirad in einer konstruktiven Mischbauweise aus etwa 75 Prozent Holz und etwa 25 Prozent Metall. Die Materialien wurden sehr fachgerecht verarbeitet. Der Wagen rollt auf drei Holzrädern mit grauem Vollgummibelag. Zwei Personen konnten Platz finden. Der Antrieb erfolgte von einem 1-Zylinder ca. 500 ccm 4- Taktmotor über eine Vorgelegewelle mit 2 primitiven Schaltstufen, an der 2 Rollketten je für ein Hinterrad vorhanden sind. Alle 3 Räder besitzen Bremsen, das Vorderrad hat eine Klotzbremse, die Hinterräder Bandbremsen.“
Rein hat das Fahrzeug genau unter die Lupe genommen. Für Nachtfahrten besaß das zwei Dreirad zwei Kutschlampen mit Talgkerzen. Gehupt wurde damals mit Signalhorn, die Druckluft dafür erzeugte ein Fußblasebalg.
Hubert W. Rein: „Der ist noch funktionsfähig. Außerdem besitzt der Wagen einen etwa 5 Liter großen Benzintank unter der Lenkstange.“
Damals war es die Sensation, sich überhaupt mittels Motorkraft fortzubewegen, der Fahr-Komfort eher nebensächlich. „Trotzdem gab es schon Federungen: die befinden sich unter der Sitzbank und an der vorderen Metallaufhängung des Motors bzw. des Vorderrades“, erklärt Oldtimer-Freund Rein.
Und: „Das gesamte Fahrzeug ist farblich noch im Originalzustand gefasst. Holzflächen in grün mit gelber Linierung, Metallkonstruktionen in gelber und roter Farbe. Auch die Radspeichen sind farblich in einer Kombination mit Ornamentik in rot und gelb gehalten.“
Zahlreiche Experten haben sich zum Fund schon geäußert, darunter auch Jury-Mitglieder des berühmten Intern. Concours d’Elegance der Classic Gala Schwetzingen. Dort wurde das Motor-Dreirad im September zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert. Auf etwa 120 Jahre wurde es geschätzt.
Aber wer war der Schöpfer?
Einige Experten vermuten, dass das Gefährt von Friedrich Lutzmann (1859 – 1930) konstruiert wurde. Der Erfinder und Unternehmer aus Sachsen-Anhalt schuf für Opel 1899 das erste Automobil – den Patentmotorwagen „System Lutzmann“. Und schon 1897 zeigte Lutzmann neben Gottlieb Daimler und Carl Benz seine Motorwagen auf der ersten Internationalen Automobilausstellung (IAA). Möglich, dass das Motor-Dreirad vor 1890 gebaut wurde.
Dann könnte es sogar dem „Motorwagen Nummer 1“ von Carl Benz den Rang als erstes Automobil streitig machen. Ein Indiz: Benz konstruierte den Rahmen aus Stahlrohren, das Gefährt aus der Leipziger Garage ist zum größten Teil noch aus Holz.
Doch das sind bisher nur Spekulationen.
Wie geht es nun weiter?
Hubert W. Rein: „Zunächst wird das Fahrzeug am 7. November Historikern und Experten vom Technik-Museum Hugo Junkers in Dessau gezeigt. Außerdem stehen wir in Kontakt mit zwei Spezial-Laboren, die uns angeboten haben, das genaue Alter des Fahrzeugs zu bestimmen.“
Das eventuelle Restaurieren des wertvollen Stückes überlassen die Thüringer Oldtimer-Freunde ebenfalls den Museums-Profis und Denkmalschützern.
Im Museum wird das Motor-Dreirad auch künftig seinen Platz finden – als Dauerleihgabe. (dr)
Fotos: Hubert W. Rein | MDR Thüringen
Das sagen die Experten
Zahlreiche Experten haben sich zum Fund schon geäußert, darunter auch Jury-Mitglieder des berühmten Intern. Concours d’Elegance der Classic Gala Schwetzingen. Dort wurde das Motor-Dreirad im September zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert. Auf etwa 120 Jahre wurde es geschätzt.
Johannes Hübner, Organisator und Gründer des Automobil-Concours Classic-Gala Schwetzingen erläutert dem OCC-Magazin seine Beobachtungen: "Das Chassis entspricht nicht dem üblichen Kutschwagenbau. Es ist eine Art Kastenrahmen mit Metallverstärkungen für die Vorderradaufhängung, das Chassis ist aber auch kein typisches Rohrrahmenchassis (wie beim Benz Velo). Deswegen: Der Erbauer hat sehr früh eine eigenständige Lösung gefunden, die sehr stabil und dank des Querschotts (Armaturenbrett) auch verwindungssteif ist. Lenkköpfe für Motorräder gab es damals noch nicht - es wird aber ein Lenkkopf mit Vorderradgabel verwendet. Hätte jemand das nach 1905 gebaut, hätte er wohl auch einen anderen Rahmen gebaut. Gefederte Vorderradgabeln gab es bis 1910 nicht, abgesehen von einzelnen Versuchslösungen, dann kamen die sog. Parallelogrammgabeln mit integrierter Feder zur Abstützung. Der Erbauer wählte die Lösung, die gesamte Vorderradgabel an einem Dreieckslenker abzustützen, der sich wiederum an einer vorn im Rahmen befestigten Querstütze als Widerlager abstützt. Diese Lösung ist mir aus der ganzen frühen Geschichte bislang nicht bekannt. Ich nehme an, das ist die erste Vorderradfederung mit Dreieckslenker."
Die Getriebelösung mit zwei Primärketten ab einer Zahnradwelle hinter dem Motor, von denen die eine links, die andere rechts am Rahmen entlangführt und hinten an zwei unterschiedlichen Ritzeln enden, ist ebenfalls in der Frühzeit von Auto und Motorrad in dieser Form einzigartig. Das sieht auch nicht nach einer Bastlerlösung aus, denn es steckt das komplette damalige Ingenieurwissen darin.
Die Liebe zum Detail zeigt sich auch an der vorn auf zwei Schraubenfedern liegenden Sitzbank. Apropos Schraubenfedern: auch die waren damals zunächst nur im Eisenbahnwesen verbreitet, man nahm lieber die aus dem Kutschwagenbau bekannten Blattfedern. Fazit: für ein Baujahr vor 1890 ist der luftgekühlte Motor fast zu modern, für ein Baujahr nach 1900 / maximal 1905 ist der Kastenrahmen zu schwer, aber seine Vorderradaufängung ist geradezu revolutionär.
Interessant auch, dass es die schiebestangenbetätigte Klotzbremse aufs Vorderrad gibt, die oben auf der Lenkstange angeodnet ist, gleichzeitig aber auch Hinterradbremsen, die durch Gewichtsverlagerung auf den Trittbrettern betätigt wird, etwa so, wie bei den heute bekannten Tretrollern, bei denen man zum Bremsen auf den hinteren Kotflügel tritt. An solche Bremsen dachten die Pioniere wie Carl Benz zunächst gar nicht. Es könnte sein, dass das Gerät zuächst einen anderen Motor hatte, der möglicherweise sogar wassergekühlt und vielleicht so unzuverlässig war, dass man ca. 1905 einen der dann schon zahlreich angebotenen luftgekühlten Einbaumotoren verwendete. Dann würde ich annehmen, dass das Chassis schon zwischen 1890 und 1900 gebaut und etwa 1902 bis 1905 mit einem besseren Motor ausgerüstet wurde. Es scheint keine Amateurkonstruktion zu sein, eine spätere Datierung scheint mir nicht schlüssig."
Aber wer war der Schöpfer?
Einige Experten vermuten, dass das Gefährt von Friedrich Lutzmann (1859 – 1930) konstruiert wurde. Der Erfinder und Unternehmer aus Sachsen-Anhalt schuf für Opel 1899 das erste Automobil – den Patentmotorwagen „System Lutzmann“. Und schon 1897 zeigte Lutzmann neben Gottlieb Daimler und Carl Benz seine Motorwagen auf der ersten Internationalen Automobilausstellung (IAA). Doch das sind bisher nur Spekulationen, keine gesicherten Erkenntnisse.
Wie geht es nun weiter?
Hubert W. Rein: „Zunächst wird das Fahrzeug am 7. November Historikern und Experten vom Technik-Museum Hugo Junkers in Dessau gezeigt. Außerdem stehen wir in Kontakt mit zwei Spezial-Laboren, die uns angeboten haben, das genaue Alter des Fahrzeugs zu bestimmen. Ein Labor ist das Mannheimer Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie." Die Mannheimer Forscher können u.a. mit Hilfe von Radiokohlenstoff (14C) das genau Alter von Stoffen bestimmen - bis zu 50.000 Jahre zurück. Bei Holz genügen z.B. nur 20 mg des Materials, um es zu datieren.
Das eventuelle Restaurieren des wertvollen Motor-Dreirads überlassen die Thüringer Oldtimer-Freunde ebenfalls den Museums-Profis und Denkmalschützern.
Im Museum soll das Motor-Dreirad auch künftig seinen Platz finden – als Dauerleihgabe. (dr)
Fotos: Hubert W. Rein | MDR Thüringen | Johannes Hübner
Update Januar 2022: Dreirad ist etwa 120 Jahre alt
Nach einem Bericht des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) haben Experten nun Hinweise auf das tatsächliche Alter gefunden. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist das Motor-Dreirad in den ersten Jahren nach 1900 erbaut worden und somit ca. 120 Jahre alt. Ein Team um Oldtimer-Restauratorin Dr. Gundula Tutt und Dr. Ronny Friedrich vom Curt-Engelhorn-Zentrum für Archäometrie hatte u.a. Proben von Lack, Stoff, Lederresten und Metallen des Fahrzeugs untersucht. Dabei wurde auch die Radiokarbonmethode genutzt, um bei organischen Stoffen wie Leder deren Alter anhand zerfallender Atome zu bestimmen. Tino Räppel vom Oldtimer-Dienst Chemnitz: "Das Expertenteam ist sich einig gewesen, dass das Fahrzeug im Deutschen Kaiserreich entstand."
Der genaue Abschlussbericht soll noch im Januar veröffentlicht werden.
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